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Ausreise oder Gefängnis

Ausharren: Afrikanische Asylbewerber warten stundenlang vor der Migrantenbehörde in Bnei Berak bei Tel Aviv und kochen Tee. | Foto: Debbie Hill
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  • Ausharren: Afrikanische Asylbewerber warten stundenlang vor der Migrantenbehörde in Bnei Berak bei Tel Aviv und kochen Tee.
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Israel: Ab dem 1. April droht Temesgen Asfaha die Abschiebung aus Israel – wie weiteren Tausenden Afrikanern. Er will sich widersetzen und riskiert damit eine Gefängnisstrafe. Es sei denn, ein neues Gerichtsurteil zeigt Folgen.

Von Susanne Knaul

Gleich im Anschluss an seine Nachtschicht in einem Restaurant ist Temesgen Asfaha zum Meldeamt gefahren. Seit fünf Stunden steht der junge Eritreer in der Schlange der unterbesetzten Behörde in Bnei Berak bei Tel Aviv. Schon in wenigen Tagen läuft sein Visum für Israel ab. »Ich bin sicher, dass ich einen Ausreisebefehl bekomme«, sagt der hochgewachsene orthodoxe Christ, der vor acht Jahren aus Eritrea floh, müde.
Asfaha ist einer von rund 20 000 Migranten in Israel, denen noch wenige Wochen bleiben, um zwischen Ausreise oder Gefängnis zu entscheiden. Insgesamt leben in Israel rund 40 000 offiziell als »Infiltranten« bezeichnete Afrikaner, die zumeist aus Eritrea und dem Sudan stammen, darunter 5 000 Kinder.
Die umstrittene Abschiebung betrifft vorläufig nur alleinstehende Männer, die Israel ausstattet mit 3 500 Dollar (rund 2 800 Euro) und einem One-Way-Ticket in die Ungewissheit. »Der Staat Israel hat Vorkehrungen getroffen, die es Ihnen erlauben, Israel zu verlassen und in ein sicheres Drittland zu reisen«, heißt es in einem zweiseitigen Anschreiben auf Hebräisch. In welches Land die Reise geht, wird nicht erwähnt, nur dass dort »eine stabile Regierung« herrscht. Inoffiziell sind Ruanda und Uganda im Gespräch. Versprochen werden zudem eine »befristete Aufenthaltserlaubnis« und die Möglichkeit zu arbeiten. Das Dokument endet mit den Worten: »Viel Glück«.
Auf keinen Fall will Asfaha freiwillig ausreisen, auch wenn die Alternative Gefängnis bedeutet. »In Ruanda bin ich Freiwild.« Der 25-Jährige mit kurz geschnittenem Haar, Vollbart und silbernem Kettchen um den Hals hat sichtlich Angst. »Ich habe schon genug mitgemacht, damals im Sinai.« Den musste er auf seiner Flucht Richtung Israel durchqueren. Zwei Monate hielten ihn Beduinenbanden in einem Kerker angekettet fest und misshandelten ihn, bis seine Familie ein Lösegeld von 3 000 Dollar zahlte.
Nach Eritrea kann er nicht zurück. Dort gilt er als fahnenflüchtig, riskiert Strafe und den Armeedienst, der ihn einst in die Flucht trieb. Zwölf Jahre und länger zwingt das diktatorische Regime junge Männer und Frauen zum Dienst an der Waffe.
Zum ersten Mal erkannte ein Gericht in Jerusalem jüngst einen eritreischen Deserteur als Asylbewerber an. Es bestehe »begründete Angst vor einer Verfolgung», hieß es im Urteil. Die Hotline für Migranten in Tel Aviv hofft, dass dies bahnbrechend für Tausende Eritreer sein könnte, deren Asylanträge zuvor abgelehnt wurden. In den vergangenen Tagen wurden der Hotline zufolge allerdings die ersten sieben eritreischen Flüchtlinge von einem Camp in eine Haftanstalt verlegt. 600 hätten ihren Abschiebungsbescheid erhalten. Asfaha glaubt nicht daran, dass ihm Israel Asyl gewähren wird. »Keiner von uns will ewig hier bleiben«, sagt er. Was er sich wünsche, sei lediglich eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung.
Laut Urteil des Obersten Gerichts in Jerusalem darf Israel Flüchtlinge erst abschieben, wenn es ein Land gibt, das bereit ist, sie aufzunehmen. Die ruandische Regierung erklärte, sie sei entschlossen, Menschen im Exil zu unterstützten. Man werde aber nur diejenigen aufnehmen, die »freiwillig und ohne Zwang kommen«. Ein geheimes Abkommen mit Israel, von dem in Jerusalem wiederholt die Rede war, gebe es nicht.
Je näher der Stichtag 1. April für den Beginn der Abschiebungen rückt, desto stärker regt sich Protest. An einem Wochenende Ende Februar gingen etwa 20 000 Menschen in Tel Aviv auf die Straße. Israelische Menschenrechtler kündigten an, bedrohte Geflüchtete bei sich zu verstecken. Piloten der israelischen Fluggesellschaft El-Al wollen den Transport der Migranten ins Ungewisse verweigern, und renommierte Autoren, wie Amos Oz und David Grossman, appellieren an die Regierung, »moralisch, menschlich und mit Mitgefühl« zu handeln. Auch Migranten selbst protestieren immer wieder. Lieber ins Gefängnis als in die Ungewissheit, sagen viele.
Soweit will es Rabbi Susan Silverman jedoch nicht kommen lassen. Inspiriert von der Geschichte der Anne Frank, die sich mit Hilfe von Nachbarn in Amsterdam über Jahre vor den Nazis versteckt hielt, appelliert die Aktivistin an Israelis, die Menschen in Not bei sich zu verstecken, sollte es ernst werden. Auch der frühere Oberrabbiner Meir Lau, selbst Holocaust-Überlebender und Vorsitzender der Gedenkstätte Yad Vashem, rief dazu auf, den Geflüchteten gegenüber Mitgefühl und Erbarmen zu zeigen. Die Erfahrungen des jüdischen Volkes »unterstreicht diese Verpflichtung«.
Eine Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts zeigt, dass zwei Drittel der israelischen Bevölkerung den Deportationsplan der Regierung befürworten (69 Prozent der jüdischen und 50 Prozent der arabischen Israeli). Gut die Hälfte der jüdischen Befragten sieht in der eigenen Geschichte der Verfolgungen keine besondere Verpflichtung, die afrikanischen Geflüchteten in Israel aufzunehmen. (epd)

Ausharren: Afrikanische Asylbewerber warten stundenlang vor der Migrantenbehörde in Bnei Berak bei Tel Aviv und kochen Tee. | Foto: Debbie Hill
Seit fünf Stunden steht Temesgen Asfaha in der Schlage der unterbesetzten Behörde. In wenigen Tagen läuft sein Visum für Israel ab. | Foto: Debbie Hill
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