Das Gesicht Gottes im Krieg
Syrien: Der Krieg geht im März in sein achtes Jahr. Karin Maria Fenbert sprach mit dem maronitisch-katholischen Erzbischof Joseph Tobji aus Aleppo über die aktuelle Situation in seinem Heimatland.
Erzbischof Tobji, Ihre Erwählung zum maronitischen Erzbischof fiel mitten in eine der schwersten Phasen des Krieges. Was gibt Ihnen Kraft?
Tobji: Als ich zum Bischof geweiht wurde, habe ich mit Tränen in den Augen gesagt: »Herr, was hast du mit mir vor?« Es ist wirklich der Herr allein, der entscheidet. Ich selbst bin nur ein kleiner Teil von Gottes Plan.
Was steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Drama in Syrien, das jetzt seit sieben Jahren andauert?
Tobji: Syrien lässt sich mit einer Torte vergleichen. Jeder politische Machthaber in Ost und West hätte gern ein Stück davon. Denn Syrien hat eine wichtige strategische Position: Wichtige Erdöl- und Gasleitungen durchziehen unser Land, die vom arabischen Raum bis nach Europa reichen. Die Nationen, die diese Torte wollen, halten sich weitgehend zurück. Aber trotzdem ist es ihnen gelungen, in Syrien Einfluss zu nehmen. Zum Bespiel, indem die Religionen instrumentalisiert worden sind.
Ein Lichtblick im Syrienkrieg war die Waffenruhe, die im Dezember 2016 für Aleppo ausgerufen wurde. Davor teilte eine lebensgefährliche Ost- und West-Linie die Stadt. Hält die Waffenruhe auch gut 15 Monate später noch an?
Tobji: Ja, seither ist es weitgehend ruhig geblieben in Aleppo. Es ist wie ein Aufatmen, nachdem wir über Jahre hinweg so viel Leid erlitten haben. Das heißt aber nicht, dass der Krieg vorbei ist: In der Region wurde und wird nach wie vor gekämpft, wie aktuell in Afrin, das nur etwa 20 Kilometer von Aleppo entfernt liegt.
Wie kann man sich die aktuelle Situation in Aleppo vorstellen?
Tobji: Die Lage ist nach wie vor ernst, aber es gibt kleine Verbesserungen. Die wichtigste ist, dass es jetzt wieder für ein paar Stunden am Tag Strom gibt. Während der Kämpfe lebten wir im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Einige Bewohner fangen an, ihre Wohnhäuser wiederaufzubauen. Auch der Wiederaufbau der Kirchen kommt in Gang. Andere haben auch schon damit begonnen, kleine Unternehmen aufzubauen. Es ist sehr mühselig, eine Arbeit zu finden. Denn auch die gesamte Infrastruktur ist zerstört. Unsere Wirtschaft ist in der Rezession. Die Inflation ist enorm. Es ist schwer, die Zukunft zu planen.
Was haben die sechs Jahre der Kämpfe in Aleppo mit dem Glauben der Christen gemacht?
Tobji: Nach den traumatischen Kriegserlebnissen stehen die Christen am Scheideweg. Einige haben ihren Glauben verloren. Sie sahen Gott als Wundertäter, der verhindern muss, dass eine Bombe auf ihr Wohnhaus stürzt. Diese Menschen sagen: »Ihr habt uns doch gelehrt, dass Gott gut, barmherzig und allmächtig ist. Wieso schweigt er jetzt?«
Was erwidern Sie?
Tobji: Meine Antwort lautet: Der Krieg lehrt uns, das andere Gesicht Gottes zu sehen. Gott ist Mensch geworden, ein Gott, der weint, der leidet, der am Kreuz hängt – und völlig unschuldig ist. Dieser Gott will unser Heil, unser Glück. Dieses Glück kann man nicht einfach durch Wunder herstellen. Nein, das Glück entsteht nur dann, wenn wir unseren Weg gemeinsam gehen, gemeinsam mit Christus unser Kreuz tragen und gemeinsam die Nächstenliebe praktizieren. Und ich bin sehr froh, dass die Mehrheit der Christen diesem Weg folgt.
Das heißt, die schreckliche Erfahrung des Krieges hat auch sehr viele Christen in ihrem Glauben gestärkt?
Tobji: Ja, immer wieder treffe ich unglaublich beeindruckende Menschen, ganz einfache Leute. Die Terroristen des »Islamischen Staates« haben ihnen das Messer an die Kehle gehalten, um sie zu zwingen, dem christlichen Glauben abzuschwören. Diese Menschen haben gesagt: »Nein, niemals! Ihr könnt meinen Leib vernichten, aber nicht meine Seele.« Sie sind Gott treu geblieben.
Beeindruckende Glaubenserfahrungen – mitten im Krieg …
Tobji: Ich sage ganz offen: Auch ich habe durch den Krieg eine Bekehrung erfahren! Es ist eine Bekehrung durch Tränen. Im Krieg muss man immer bereit sein für den Tod. Diese Bereitschaft geschieht durch Gebet, Beichte, Reue. Diese Bereitschaft war mein persönliches Bekehrungserlebnis.
Sie sind erst 2015 zum Bischof geweiht worden. Vorher hätte durchaus noch die Möglichkeit bestanden, Syrien zu verlassen. Warum sind Sie geblieben?
Tobji: Weil es mein Auftrag ist! Ich bin in Syrien geboren, um dort Gottes Volk zu dienen. Ich musste Gott gehorchen. Sonst hätte ich seine Herde ohne Hirten gelassen und damit große Schuld auf mich geladen.
Karin Maria Fenbert ist Geschäftsführerin des weltweit agierenden päpstlichen Hilfswerks »Kirche in Not«. Seit Kriegsausbruch engagiert sich die Organisation für die christliche Bevölkerung Syriens.
Autor:Online-Redaktion |
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