»Die Welt ist ein schöner Ort«
Abenteuerliche Reise: Dennis Kailing hat 41 Länder auf zwei Rädern durchquert und viel über andere Menschen und sich selbst gelernt.
Von Uta Grossmann
Eine Reise von 1 000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt, sagt Laotse. Oder in Dennis Kailings Fall: mit dem ersten Tritt. Am 24. Juni 2015 hat er seinen Eltern im hessischen Gelnhausen Tschüss gesagt, sich auf sein Fahrrad gesetzt und ist losgefahren: mit 30 Kilo Gepäck, verteilt auf sechs Taschen, einmal um die ganze Welt. Gut zwei Jahre später ist der inzwischen 27-Jährige zurück und rollt mit demselben Rad zum Interview. Im Eiscafé wird er von einer schwanzwedelnden Boxerhündin begrüßt und erzählt, dass er inzwischen überhaupt keine Angst mehr vor Hunden habe. Unterwegs seien ihm oft Hunde bellend hinterhergelaufen. »Erst bin ich mit dem Rad abgehauen, doch irgendwann habe ich gelernt, mit ihnen zu kommunizieren. Ich bin abgestiegen und habe mich vor ihnen aufgebaut«, erzählt der 1,94 Meter große Gelnhäuser. Das habe tatsächlich gewirkt.
Aber vor allem über die Kommunikation zwischen Menschen hat er viel gelernt. Sich mit Gesten verständigen, wenn es auf Englisch oder Spanisch nicht möglich war, »die menschlichen Grundbedürfnisse wie Schlafen und Essen sind überall gleich«, sagt er. Nicht alles glauben, vor allem nicht, was andere selbst nur vom Hörensagen kennen. Freundlich bleiben und weiterverhandeln, wenn das Gegenüber abwehrt oder aggressiv wird. Er hat viel nachgedacht, wenn er auf dem Rad saß. »Nirgends sonst sind die Gedanken so klar und frei«, urteilt Dennis Kailing. Er hat durchgeatmet, statt sich zu ärgern, wenn es ewig dauerte, ein Visum zu bekommen, oder der Berg sich endlos zog. Hat harte Phasen durchgehalten wie die 2 500 Kilometer durchs menschenleere australische Outback bei zermürbendem Gegenwind oder den Dauerregen und die Kälte in den ecuadorianischen Anden.
Der junge Mann mit dem Basecap wirkt gelassen und freundlich. Er scheint in sich zu ruhen, doch ein paar Sensoren bleiben immer auf die Außenwelt gerichtet. Genau diese Mischung aus entspannter Ruhe und Aufmerksamkeit hat ihm in einigen brenzligen Situationen Unannehmlichkeiten erspart. »Naivität ist schlecht«, sagt er. Zwar sei er immer mit einem Lächeln auf die Menschen zugegangen, doch wenn ihm etwas komisch vorkam, hörte er auf sein Bauchgefühl. Das bewahrte ihn in Honduras davor, von einer Kinderbande ausgeraubt zu werden und vor Trickdieben in Bolivien, die sich in der Nähe der argentinischen Grenze als Migrationsbehörde ausgaben.
Einmal zeltete er in einem Garten in Costa Rica. Über das Gelände waren angeleinte Hunde verteilt, ein Bus mit zehn Männern kam an und Dennis schwante, dass er bei Menschenschmugglern gelandet war. Ihm wurde mulmig, doch die Sache ging gut aus.
Er traf Menschen unterschiedlichster Religionen. In Indien durfte er in einem katholischen Internat übernachten. »Ich beobachtete 20 indische Mädchen, die eine halbe Stunde lang das ›Ave Maria‹ aufsagten«, erzählt er. »Da wurde mir klar: Es ist Zufall, welcher Religion wir angehören. Wären die Mädchen ein Dorf weiter geboren worden, wären sie Hindus gewesen.«
In Dennis Kailings Familie spielt Religion eine wichtige Rolle. Seine Mutter Martina engagiert sich im Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde, ein Onkel ist Pfarrer. Seine Mutter reagierte übrigens ziemlich cool auf den Plan ihres Sohnes, die Welt auf dem Fahrrad zu erkunden. Dennis trug sich zwar schon einige Zeit mit dem Gedanken, setzte ihn dann aber recht spontan um, nachdem die Firma seines damaligen Arbeitgebers pleite gegangen war. Als er wenige Wochen vor dem Start erzählte, er sei gerade beim Tropenarzt zum Impfen gewesen, drehte die Mutter sich zum Vater um und sagte trocken: »Ich glaube, er meint’s ernst.«
Sich selbst beschreibt Dennis als nicht sehr religiös. Ihn stören »die vielen Regeln. Die Gedanken sind doch frei!« Sein Verhältnis zum Transzendenten fasst er lieber in den Begriff der Spiritualität. »Das Paradies findet im Kopf statt«, ist eine Erkenntnis, die er auf seiner Weltreise gewonnen hat. Er konzentriert sich auf das, was gut läuft. Besinnt sich auf seine Stärken, wenn es gilt, Schwierigkeiten zu überwinden und etwas zu erreichen.
In den unzähligen Stunden auf dem Rad hat er auch über grundsätzliche Fragen nachgedacht, die Menschen aller Religionen bewegen: Warum sind wir hier? Was macht ein gutes Leben aus? Das Geld ist es jedenfalls nicht, ist seine Antwort. Sondern? »Sicherheit, ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen. Das einfache Leben.« Das hat er schätzen gelernt. »In Spanien traf ich eine Frau, die ihren eigenen Staat ausgerufen hat«, erzählt er. »Sie will Paradise-Coaches ausbilden, weil sie der Überzeugung ist, dass wir auf Erden bereits im Paradies leben.«
Mehr als einmal hat er großes Glück gehabt. Oder einen Schutzengel, der seinen Flügel über ihn breitete, auch wenn er es niemals so ausdrücken würde. Auf Bali fuhr ihn ein Motorradfahrer über den Haufen und haute anschließend ab. »Vermutlich war er betrunken und hatte Angst, mir Geld zahlen zu müssen«, sagt Dennis. Er trug lediglich Prellungen und Schürfwunden davon. Das Rad konnte für 20 Euro repariert werden.
Als ihm in einem mexikanischen Dorf das Handy geklaut wurde, sprach sich das sofort herum. Er durfte bei einer Familie übernachten, auch das wusste schnell die ganze Nachbarschaft. Am nächsten Morgen kam eine Frau aus der Dorfkirche und brachte ihm das Handy. Die Diebe hatten wohl ein schlechtes Gewissen bekommen und es auf dem Altar abgelegt. Die Oma seiner Gastfamilie wusste es besser:
»Diós«, Gott, habe es zurückgebracht.
43 600 Kilometer ist Dennis insgesamt geradelt, hat 41 Länder durchquert und 294 895 Höhenmeter überwunden. 63 platte Reifen hat der studierte Bauingenieur geflickt und sich bei Reparaturen in Werkstätten einiges für die nächsten Pannen abgeschaut. Vor der Reise fuhr er ungefähr einmal die Woche Rad. Nach drei Tagen unterwegs hatte er solche Knieschmerzen, dass er kaum laufen konnte. Er reduzierte die Länge der Tagestouren und sein Körper gewöhnte sich an die Belastung. »Ab Wien wusste ich, dass mein Körper mitspielt«, sagt er. Sportlich war er schon immer, in seinem Heimatort hat er im Basketballklub in der Regionalliga gespielt.
»Die Welt ist ein schöner Ort«, ist eine der Wahrheiten, die er von der Weltumradlung mitgebracht hat. Und er hat erlebt, »wie friedvoll die Welt auch ist«. »In den Fernsehnachrichten wird das Bild einer Welt voller Kriege und Katastrophen vermittelt, da stimmen die Verhältnisse einfach nicht.«
Autor:Adrienne Uebbing |
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