Frieden statt Wiedervereinigung
Die überraschende Teilnahme einer gemeinsamen koreanischen Mannschaft
aus Nord und Süd bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang wird allgemein in der Welt begrüßt. Doch in Südkorea selbst gibt es viel Skepsis. Die Gräben zwischen beiden Staaten sind tief.
Von Harald Krille
Nach Monaten der sich verschärfenden Kriegsdrohungen Nordkoreas wirkte die Nachricht wie ein Befreiungsschlag: Der »Oberste Führer« Kim Jong-un ging auf den Vorschlag einer gemeinsamen Olympiamannschaft mit Sportlern aus Nord- und Südkorea ein. Während in Deutschland wohl weitgehend Freude über diese Entwicklung herrscht, sehen die Menschen in Südkorea die Situation mit wesentlich gemischteren Gefühlen.
»Vor allem unter der älteren Bevölkerung herrscht eine große Skepsis und Angst vor einer schleichenden Vereinnahmung durch den Norden«, beschreibt Hyun-Jeong Kim die Situation. Diese Menschen sind es auch, die von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden, als sie in den Wochen vor der Eröffnung der Winterspiele an diesem Freitag auf die Straße gingen, um gegen diesen Schritt der Annäherung zu demonstrieren.
Für Frau Kim, die im einstigen Westberlin geboren wurde, den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands hautnah miterlebte, sind es auch die äußeren Umstände der gemeinsamen Mannschaft, die skeptisch machen: So seien zum einen die Sportler selbst von der Politik nicht gefragt worden. Zum anderen werden die Aktiven des Nordens von einer großen Gruppe Betreuer und Funktionäre sowie von noch größeren offiziellen Fangruppen begleitet. Zur Finanzierung des Ganzen trägt der Norden allerdings keinen Cent bei.
Hyun-Jeong Kim lebt inzwischen seit 14 Jahren in Südkorea und wird bei den Olympischen Spielen unter anderem für einen britischen Fernsehsender als Dolmetscherin arbeiten. Als eines der Hauptprobleme auf der koreanischen Halbinsel sieht sie die jahrzehntelange, völlig gegenseitige Isolation der Menschen in beiden Staaten. Anders als im einst geteilten Deutschland gibt es praktisch keine persönlichen Kontakte, gibt es kein Gefühl der Gemeinsamkeit mehr. Verantwortlich dafür ist freilich nicht nur die im Norden herrschende absolute Diktatur. Auch in Südkorea stellt das »Nationale Sicherheitsgesetz« jeden Kontakt in den Norden unter Strafe, gilt das Radio oder Fernsehen des Nordens als »Feindsender«.
»Ja, wir wurden in der Schule regelrecht zum Hass auf den Norden erzogen«, erinnert sich Jona Kim. Der südkoreanische protestantische Pastor leitet seit 2005 die kleine koreanische Gemeinde in Weimar. Und er erinnert an die traumatischen Erfahrungen, als 1950 das kommunistische Regime aus dem Norden mit seiner Armee den Süden fast vollständig überrannte: »Anders als in Deutschland wurden wir nicht von den Alliierten gegen unseren Willen geteilt, wir haben einen grausamen, blutigen Krieg gegeneinander geführt, der viele Wunden bei den Menschen hinterlassen hat.« Ein Krieg, der offiziell bis heute andauert. Lediglich der Waffenstillstand vom 27. Juli 1953 bietet den fragilen Rahmen für den derzeitigen Status quo.
Auch in Pastor Kims Brust wohnen zwei Seelen. Auf der einen Seite freut er sich über die unerwartete Chance der Annäherung zwischen Nord und Süd. Auf der anderen Seite hält er die gemeinsame Mannschaft für einen übereilten Schritt. »Wir müssen realistisch sein, wir sind zwei Staaten, die nebeneinander existieren. Deshalb sollte es auch zwei Mannschaften nebeneinander geben.«
Innerhalb dieser zwei Staaten haben sich inzwischen auch zwei äußerst unterschiedliche Kulturen, völlig verschiedene Denk- und Lebensweisen entwickelt. Dies haben, so Pastor Kim, etliche südkoreanische Kirchengemeinden hautnah erlebt, als sie sich in den 1990er-Jahren der inzwischen Millionen zählenden Zahl von Flüchtlingen aus dem Norden annahmen. Bei vielen sei die Euphorie mittlerweile einer tiefen Resignation ob der Schwierigkeiten der Integration gewichen.
Dem Gedanken oder Wunsch nach einer baldigen Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel erteilt Jona Kim eine deutlich Absage. Nicht nur, weil die berechtigte Angst besteht, eine Wiedervereinigung nach deutschem Vorbild würde selbst die relativ starke Wirtschaftskraft des Südens heillos überfordern. »Das Erste und Wichtigste, was wir brauchen, ist ein stabiler Frieden«, so sein Credo. Nur auf der Basis eines friedlichen Nebeneinanders könne es eine Annäherung der Menschen geben, könne Vertrauen wachsen. Auch wenn auf beiden Seiten der Wille zur Versöhnung wachse, sei eine Wiedervereinigung in Freiheit und Demokratie vorstellbar, so Kim.
Für den Pastor ist dies vor allem auch eine geistliche Herausforderung. Deshalb hat für Jona Kim das Gebet um eine innere Veränderung im Herzen seines Volkes und für eine Öffnung und Veränderung der nordkoreanischen Diktatur höchste Priorität. Dass er in Deutschland immer wieder auf Menschen stößt, die für Nordkorea beten, sieht er als »ein Wunder« an, für das er von Herzen dankbar ist.
Autor:Online-Redaktion |
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