Kaliningrad: Reformation in der Diaspora
Die russische Exklave Kaliningrad (früher Königsberg) ist flächenmäßig fast so groß wie Schleswig-Holstein. Über dieses Gebiet verstreut leben etwa 500 evangelische Christen. Auch sie feiern das Reformationsjubiläum, allerdings viel bescheidener als die Glaubensgeschwister in Deutschland. Geschuldet ist das der besonderen Situation in der Diaspora.
Von Brigitte Lehnhoff
Wie schwierig die Lage evangelischer Christen im ehemaligen Königsberger Gebiet ist, zeigt sich bei jeder Gelegenheit, auch beim Kirchentag der Propstei Mitte Juli. Dieser stand ganz im Zeichen des Reformationsjubiläums und begann mit einem Festgottesdienst in der Kaliningrader Auferstehungskirche. Unter den geladenen Gästen, die ein Grußwort sprachen, war auch Viktor Hoffmann, Leiter des deutsch-russischen Hauses. Diese Begegnungsstätte wurde vom russischen Justizministerium als »ausländischer Agent« eingestuft und musste Anfang des Jahres schließen. Ob das auch den Gemeinden blüht, fragte spontan eine Besucherin im Gottesdienst. Doch Propst Igor Ronge wich der Diskussion aus, vertagte sie auf die nächste Sitzung des Propsteirats. Denn mit jeder politischen Äußerung im Kirchenraum würde er sich zusätzlich angreifbar machen. Die Christen in der Propstei leben ohnehin in ständiger Unsicherheit, weil die 25 Gemeinden zum größten Teil von ausländischen Förderern finanziert werden. Wer aber von Geld aus dem Ausland lebt, steht im Verdacht, »ausländischer Agent« zu sein und ist im Visier russischer Behörden.
Das erklärt womöglich auch, warum es in der Ökumene gerade nicht rund läuft. Anlässlich des Reformationsjubiläums hatte die Propstei zum ökumenischen Gottesdienst in die Kapelle des Königsberger Doms eingeladen. Doch weder von der katholischen noch von der orthodoxen oder der armenischen Kirche sei ein Vertreter gekommen, bedauert Sergej Kivenko, Vorsitzender des Propsteirates.
Besorgt ist Kivenko auch, weil vom Gründungsaufschwung aus den 1990er-
Jahren nichts mehr zu spüren ist. Die Gemeinden schrumpfen rapide. Viele deutschstämmige Übersiedler aus Zentralasien, die zunächst im ehemaligen Ostpreußen eine neue Heimat gefunden hatten, sind in die Bundesrepublik ausgewandert. Zwar ist es gelungen, auch Russen für den evangelischen Glauben zu interessieren. Aber viele bleiben geprägt von orthodoxen Traditionen. Das zeigt sich etwa bei Todesfällen, wenn die Familie dann doch zum orthodoxen Priester geht.
Natalia Moskvina, Vorsitzende des Kirchengemeinderats in Swetlyj, spricht einen anderen wunden Punkt an: Wie geht es weiter mit den Partnerschaften? Die evangelischen Christen in Swetlyj etwa hätten kein eigenes Gemeindehaus, wenn nicht die sächsische Partnergemeinde Niederfrohna sie tatkräftig unterstützt hätte. »Aber die Engagierten auf beiden Seiten werden älter und es fehlt der Nachwuchs«, bedauert Moskvina. Im Jahr des Reformationsjubiläums ist also dort die Zukunft besonders ungewiss, wo vor knapp 500 Jahren die erste evangelisch-lutherische Landeskirche gegründet wurde.
Autor:Adrienne Uebbing |
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