Rückkehr ins Ungewisse
Erst der Schrecken, dann das Chaos: Mehr als zwei Millionen Menschen wurden im Nordosten Nigerias durch die Terrorgruppe Boko Haram vertrieben. Nun befreit die Armee nach und nach Städte und Dörfer, die Flüchtlinge kehren zurück. Doch die Behörden sind nicht darauf vorbereitet.
Von Andrea Stäritz
Mohamed Buba Hakim kann es nicht erwarten, zurück nach Ngala zu kommen. Mit mehreren Familien ist er aus der ehemals 300 000-Einwohner-Stadt in Nigeria vor der Terrorgruppe Boko Haram ins Nachbarland Kamerun geflohen. Jetzt sind sie zurück in Nigeria, im Transitlager in der Handelsmetropole Mubi. »Wir wollen alle zurück, unser Leben wieder aufnehmen, die Felder bestellen«, sagt der eloquente Beamte. Doch die Rückkehr nach Ngala im nordöstlichsten Bundesstaat Borno ist nicht einfach. Die Straßen sind nur mit Militärbewachung passierbar, es geht durch den berüchtigten Sambisa-Wald, in dem sich immer noch Boko-Haram-Kämpfer verstecken.
Aber im Lager in Mubi zu bleiben, geht nicht. Das provisorische Camp im Bundesstaat Adamawa ist jetzt schon überfüllt. Die Menschen sind erschöpft von Flucht, Überlebenskampf und Rückkehr. Der Eingang des Lagers ist mit Sandsäcken verbarrikadiert, die Einlasskontrollen strikt, denn Boko Haram verübt immer wieder Selbstmordattentate in Vertriebenencamps.
Andere Flüchtlinge im Lager kommen direkt aus ihrer Heimat, von dort, wo Boko Haram noch immer die Bevölkerung terrorisiert. Zu ihnen zählt Safrat Ayuba. Er hat im Bezirk Gwoza am südlichen Rand des Sambisa-Waldes vier Jahre lang unter der Herrschaft von Boko Haram gelebt. Vor zwei Wochen konnte er mit seiner 15-köpfigen Familie fliehen, während die Terroristen sich zum Ramadan-Gebet versammelt hatten. »Wir haben alle Gräueltaten dieser Welt gesehen«, sagt der 58-jährige Bauer. »Es gab Folter, Enthauptungen, Verstümmelungen und Massenhinrichtungen.« Es habe immer weniger Nahrung gegeben, sodass sie sich vor ihrer Flucht von Wurzeln und Blättern ernährt hätten. »Wenn man uns ein Stück Land gibt, können wir uns wieder zurechtfinden«, hofft er. »Das ist jetzt unsere höchste Priorität.«
Im März vereinbarten Nigeria und Kamerun unter Vermittlung des UN-
Flüchtlingshilfswerks UNHCR ein Rückführungsabkommen für bis zu 80 000 Geflohene. Bis heute hat sich aber das Komitee zur Umsetzung nicht gebildet. Stattdessen haben sich die Bedingungen im kamerunischen Lager Minawao, in dem sich 60 000 nigerianische Flüchtlinge aufhalten, massiv verschlechtert: Die Essensrationen wurden von 2 000 auf 1 200 Kalorien pro Tag reduziert und es gibt zu wenig Trinkwasser.
Einzelne Gruppen machen sich daher selbst auf den Weg zurück nach Nigeria oder werden von den kamerunischen Behörden per Lkw an die Grenze gebracht und dort sich selbst überlassen, wie Berichte des nigerianischen Außenministeriums und des UNHCR bestätigen. Dennoch will in Nigeria niemand von Abschiebung sprechen, um die Regierung Kameruns nicht zu verärgern. Denn das Land gewährt Zehntausenden Nigerianern Zuflucht.
Allerdings sind die nigerianischen Behörden nicht auf die Rückkehr der Vertriebenen vorbereitet. UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi warnte denn auch vor einer sich anbahnenden neuen Flüchtlingskatastrophe. Die Vertriebenen sollen über das Transitlager Mubi entweder weiter in ihre Herkunftsdörfer oder aber in das Lager Fufore nahe der Hauptstadt des Bundesstaates Adamawa, Yola, gebracht werden. Dort werden derzeit zaghaft neue Zelthütten errichtet. Die gesamte Infrastruktur dieser beiden Camps ist allerdings nur auf ein paar Hundert Menschen ausgerichtet.
Der Generalsekretär für Nothilfe in Yola, Haruna Furu, sieht keinen Grund für Eile: »Wir haben unsere Kapazitäten noch nicht ausgeschöpft, es gibt bisher noch keine massive Rückkehrbewegung.« Furu wartet auf ein Budget und Anweisungen von dem noch nicht existierenden Organisationsgremium.
Ein weiteres Problem ist, dass Kamerun den Vereinbarungen zum Trotz die Flüchtlinge weiter im Norden an die Grenze bringt, zum Grenzübergang Banki im Nachbarstaat Borno. Dort sind in den vergangenen zwei Monaten 20 000 Rückkehrer angekommen, die nicht versorgt werden können.
Der Bundesstaat Adamawa hat vielen Flüchtlingen über Landvergabe das Überleben gesichert. »Viele Familien haben ihre Türen für Vertriebene geöffnet«, sagt Pastor Dean Harrison in Mubi. Reiche Geschäftsleute stellen ebenso Land zur Verfügung wie traditionelle Dorfchefs. Die rasant wachsende Handelsmetropole Mubi hat bereits rund 100 000 Vertriebene aufgenommen.
Harrison ist optimistisch: Man werde auch mit der Rückkehr noch weiterer Vertriebener fertig werden.
(epd)
Autor:Adrienne Uebbing |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.