Die Freiheit eines Christenmenschen
Wulf Bennert ist renommierter Kirchenrestaurator und engagierter Christ. Er hat viele Gotteshäuser gerettet und fühlte sich der Kirche eng verbunden. Dennoch ist er ausgetreten.
Von Johann Michael Möller
Ringsherum ist nichts. Nichts als das weite Weimarer Land. Im Winter und weißverschneit wirkt es noch weiter. Fern am Horizont kann man Buchenwald sehen. Die alte Windmühle von Hopfgarten ist ein selbstgenügsamer Ort. Der Müller, der sie nur wenige Jahre nach Goethes Tod hatte bauen lassen, besaß seinen eigenen Brunnen, und auf den alten Fotografien gab es die Windräder noch. Dann ist die Mühle verfallen. Wulf Bennert hat sie wieder aufgebaut. Er war schon zu DDR-Zeiten mit seiner Familie dort hinausgezogen. Aus der Enge der Stadt. Weiter weg ging damals nicht. Bennert hat den Brunnen saniert, 15 Meter tief bis zum Schichtwasser; er hat einen riesigen Ofen gesetzt und mit einem alten Magnetbandmotor einen Savonius-Rotor für die Windkraft gebaut. Heute steht im Brunnenhaus ein nagelneues Notstromaggregat. Es wird penibel gewartet und springt sofort an. »Ich möchte unabhängig sein«, sagt Wulf Bennert lächelnd, und man versteht sein Lebensprinzip.
Wulf Bennert ist ein freier Mann und das war er schon zu DDR-Zeiten. Er war kein Revolutionär. Er hat einfach nicht mitgemacht. Das ging viel leichter als man heute glauben möchte, sagt er in seiner bedächtigen Art. »Was sollte mir schon passieren? Wenn es Gehaltserhöhungen gab, wurde ich gelegentlich mal übergangen.« Oberassistent war er damals als Physiker an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar. Oberassistent, das war die akademische Endstation für widerspenstige Geister. Zu jener Zeit hat er ein Buch über Windenergie geschrieben. Das einzige, was es zu DDR-Zeiten gab. Dass es nach der Wende eine Neuauflage erfuhr, erzählt er nicht ohne Stolz. Wulf Bennert weiß genau, was er tut. Er hat sein Leben immer präzise geplant. »Ich bin eben Physiker«, sagt Bennert, während er die steilen Stiegen hinauf in die Turmhaube klettert.
Ganz oben auf dem alten Drehkranz der Mühle hat er sich sein Schwalbennest eingerichtet. Die Kaffeekanne steht auf dem Stövchen, es gibt Kekse, und der Blick fällt wieder hinaus über das langsam wegdämmernde Weimarer Land. Es ist die Stunde der Erzählungen. Und Wulf Bennert erzählt aus seinem Leben. Wie sie sich aufgemacht haben als junge Studenten und auf eigene Faust durchs Pamir-Gebirge und den Altai gewandert sind, mehr als fünfzig Kilo Gepäck auf den Schultern. Ihre Reisegenehmigung hatten sie mit Hilfe einer alten russischen Schreibmaschine selber verfasst, aber irgendwann fing der sowjetische Geheimdienst sie doch wieder ein. Es gibt Bilder von ihnen inmitten einer kargen, menschenleeren Natur. Und diese Bilder zeigen die trotzigen jungen Gesichter der DDR-Opposition.
»Wir sind für unser Leben gerne geklettert«, erzählt Bennert. In Bergwände zu steigen, war seine Passion. Dass daraus einmal ein erfolgreicher Beruf werden würde, konnte er damals nicht ahnen. Aber die Hobbybergsteiger waren zu DDR-Zeiten gefragt, wenn es darum ging, alte Dächer zu retten. Er hat sie nicht gezählt, die vielen Dorfkirchen, denen er die Bekrönung wieder aufgesetzt hat. Aber aus den waghalsigen Einsätzen wurde ein methodisches Prinzip. »Wir haben einen anderen Zugang gewählt als die üblichen Baufirmen. Wir haben uns abgeseilt. Wir haben eigene Aufstiegstechniken entwickelt und auf Sitzbrettern in großer Höhe gearbeitet. Wir brauchten keine teuren Gerüste. Wir hatten uns selbst.«
Diese außergewöhnliche Methode war die Geschäftsidee, mit der Bennert sich gleich nach der Wende selbstständig machte. Er hatte Erfolg. Sein Unternehmen wurde bald das größte für Bauwerkssicherung und Restaurierung in Deutschland. 400 Mitarbeiter hat er damals beschäftigt und mehr als 3 000 Baudenkmale saniert. Spektakuläre Fälle waren darunter wie das Brandenburger Tor, der Turm der Schlosskirche zu Wittenberg oder Schloss Neuschwanstein. Sein Blick fällt aus dem Fenster in Richtung Buchenwald. »Auch den Glockenturm dort haben wir saniert und das nasse Mauerwerk trocken gekriegt.«
Doch es sind immer wieder Kirchen, die er gerettet hat. Für ihn das Sinnbild der Mitte. Wulf Bennert ist ein gläubiger Mensch und er hat seiner Kirche immer gedient. Zu DDR-Zeiten war er jahrelang Vorsitzender des Kirchenrats seiner Heimatgemeinde, weil er vermitteln und Streitfälle schlichten konnte. Er wurde stellvertretender Synodaler der Thüringer Landeskirche und empfand seine evangelisch-lutherische Kirche als einen »wesentlichen Inhalt« seines Lebens.
Das hat er auch seiner Bischöfin geschrieben. Doch nach sechzig Jahren der Mitgliedschaft, kurz vor Beginn des Lutherjahres, hat Wulf Bennert seiner Kirche den Laufpass gegeben. Es war keine abrupte Entscheidung, wie er sagt. Es war ein Prozess »schmerzhaften Ringens«.
Er hat kein großes Aufheben darum gemacht. Er hat Ende November letzten Jahres einen Brief nach Magdeburg geschickt und seine Motive dargelegt. Und er hat ein paar dürre Zeilen zurückbekommen, dass man seinen Schritt zwar bedaure, er aber mit seinem Austritt das Gespräch ja selbst abgebrochen habe. Im Übrigen würde der Superintendent sich um ihn kümmern. So jagt man keinen Hund vor die Tür.
Es ist draußen dunkel geworden und die beiden Schweizer Sennenhunde ziehen ums Haus. Wulf Bennert beschreibt, was ihn stört. Dass sein Glaube den Moden unterworfen werde. Aber vor allem, dass seine Kirche die Gemeinden inzwischen auf abweichende, auf »feindliche Einstellungen« überprüfen lasse. Der DDR-Gegner Bennert nimmt das persönlich. Er fühle sich, schreibt er der Kirchenleitung, »in fataler Weise an die Gesinnungsschnüffelei des DDR-Regimes erinnert«. Auch er stünde mit seiner Haltung zum politischen Islam wohl auf der Seite der »feindlichen Einstellungen«. Einer Glaubensgemeinschaft aber, »die mich als ihren Feind betrachtet«, könne er nicht mehr angehören. Man wolle mit Andersdenkenden ins Gespräch kommen, hat ihm seine Bischöfin geantwortet. Aber als Andersdenkender hat sich Bennert in seiner Kirche nie gefühlt.
Er blickt in das dunkle Weimarer Land hinaus und spricht von der versöhnenden Rolle von Kirche in der Gesellschaft, und dass sie heute mehr denn je gebraucht würde. Es sei nicht ihre Aufgabe, politische Positionen zu beziehen, auch nicht gegen »populistische Angstmache und rechte Hetze«. Sie müsse versuchen, den Graben zu schließen, der unser Land heute durchzöge, und nicht mithelfen, ihn noch zu vertiefen. Versöhnen statt spalten, hieß das in der alten Westrepublik einstmals, als es dort noch eine politische Mitte gab.
Er redet nicht um den heißen Brei herum und nennt auch die AfD beim Namen. Aber, und er schaut nachdenklich auf das Wälzlager der alten Mühle: Brauchen wir in der Kirche jetzt die politische Kante oder nicht eher das versöhnende Gespräch? Ob das auch für die unerträglichen Hetzreden Björn Höckes gelte? Als Antwort zieht Bennert den Brief eines Thüringer AfD-Mitglieds aus der Mappe, der mit seinem Fraktionsvorsitzenden rigoros abrechnet. Die Grenze nach rechts ist glasklar. »Wir ehemaligen DDR-Bürger, fügt Bennert erklärend hinzu, sind viel stärker als die Menschen im Westen an eine kritische Distanz zum politischen System gewöhnt. Wir mussten das Vertrauen erst lernen.«
Wulf Bennert ist kein politischer Eiferer; er sieht sich nicht am populistischen Rand; er ist ein gläubiger Mensch und das christliche Kreuz bedeutet ihm viel. Dass die beiden deutschen Kirchenoberhäupter bei ihrem Gang auf den Tempelberg und vor die Klagemauer in Jerusalem ihre Kreuze abgelegt haben, bringt ihn in Rage. Schäbig sei das gewesen und opportunistisch. Er wolle aber kein Mitglied einer Kirche sein, deren höchster Repräsentant ohne Not das zweitausendjährige, die gesamte Christenheit einigende Symbol des Kreuzes verleugne.
Bennert unterschreibt diese Begründung mit allen seinen akademischen Titeln und dem Hinweis, dass er Träger des Bundesverdienstkreuzes sei. Hier tritt nicht einer aus der Kirche aus, soll das heißen, der am Rande steht, sondern einer aus ihrer Mitte, aus dem Glaubenskern ihrer Konfession; einer zudem, der auch im Leben Erfolg hatte und eine der großen Erfolgsgeschichten der Wiedervereinigung schrieb.
Er hat seinen Schritt nicht publik gemacht und wollte kein öffentliches Aufsehen. Aber der Fall beunruhigt seine Kirche trotzdem. Sein Brief wird weitergereicht. Er gilt inzwischen als ein Fall seelsorgerischen Versagens. Er habe das Gespräch doch selbst abgebrochen, heißt es. Eine versöhnende Kirche könnte es wohl wiederaufnehmen. Inzwischen hat er Unterschlupf bei den Freikirchen gefunden. Ganz ohne Glaubensheimat geht es wohl nicht.
Vor Jahren hat Bennert seine Unternehmensgruppe an eine gemeinnützige Stiftung verkauft. Doch er hat schnell neue Betätigungsfelder gefunden. So beschäftigt ihn jetzt der demografische Wandel und die Auswirkung auf den ländlichen Raum. Als wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Schloss Ettersburg hat er sich mit der Zukunftsfähigkeit von Siedlungsstrukturen befasst und dafür seine eigene Methodik entwickelt. Außerdem arbeitet er als Bausachverständiger und Hochschullehrer. Dass er auch mal einen Radiosender mitbegründet hat und viele Jahre in dem von ihm sanierten Schloss Nimritz bei Pößneck wohnte, erfährt man ganz nebenbei.
Wulf Bennert deckt den Abendbrottisch und steht selber am Herd.
Er sei eben ein wahrhaft ganzheitlicher Mensch, beschreibt ihn die frühere Pfarrerin aus der Nachbargemeinde. Christine Lieberknecht war lange in der Politik. Bennerts Austritt empfindet sie als Verlust.
Es ist fast Mitternacht geworden und der Rückweg führt durch das dunkle Weimarer Land. Noch von Weitem sieht man die hellerleuchtete Mühle. Wulf Bennert hat seine Kirche verlassen. Aber im Glauben ist er immer noch da.
Der Autor war bis Oktober 2016 Hörfunkdirektor des MDR.
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