Die Kirche könnte vom Apple-Gründer lernen
Religionslose Gesellschaft: Gespräch mit Alexander Garth über sein Buch »Gottloser Westen?«
Herr Garth, fast überall in der Welt boomt Religion, nur nicht in unserem Land. Mit diesem Phänomen beschäftigen Sie sich in Ihrem Buch. Sie haben viele Faktoren und Ursachen für unsere religionslose Gesellschaft zusammengetragen. Gibt es Hoffnung?
Garth: Ja, es gibt absolut Hoffnung. Dafür gibt es zwei Faktoren. Erstens: Jesus Christus ist der Auferstandene und die Kraft des Evangeliums ist lebendig. Zweitens: Die Kirche ist unter großem Veränderungsdruck. Das ist ein Hoffnungszeichen.
Was hat es denn mit dem katholischen Herzen auf sich, das in Ihrer Brust schlägt?
Garth: Ich denke, die Reformation hat – und das ist nicht Luthers Schuld, sondern das ist später gekommen – zu viele Brüche verursacht. Von unserem katholischen Erbe ist zu wenig bewahrt geblieben. Zum Beispiel die Beichte, die Ohrenbeichte. Früher ging man regelmäßig beichten – bei uns ist die Beichte so gut wie weggefallen. Das halte ich für einen großen geistlichen Schaden, um nur ein Beispiel zu nennen.
Viele sagen, in der katholischen Kirche gibt es mehr zu sehen, es ist sinnlicher. Die Gottesdienste sind farbiger …
Garth: Ja, das auch. Ich meine, die evangelische Kirche ist nun mal die Gründung eines Professors. Dass der Gottesdienst zum großen Teil fast wie eine Bildungsveranstaltung ist, halte ich für eine große Verarmung. Zu viel Text, zu wenig Mystik, alles zu verkopft. Das Mysterium des Glaubens ist uns verloren gegangen. Im Herzen ist der Glaube eine Begegnung mit dem Unverfügbaren. Deshalb trage ich eine katholische Spiritualität im Herzen.
Was soll sich in der evangelischen Kirche ändern?
Garth: Eine ganze Reihe. Die Binnenorientierung. Wie wir unsere Gottesdienste gestalten. Wir haben weder die Menschen, die ohne Glaube und Kirche leben, noch die distanzierten Kirchenmitglieder – das sind 90 Prozent – im Blick. Für sie sollten wir Zugänge schaffen, auch kulturell. Wir haben uns kulturell zum großen Teil eingeigelt in eine Kultur, die die Menschen nicht mehr verstehen, in eine Sprache, die nicht mehr die Sprache der Menschen ist. Wir könnten im Grunde genommen unglaublich viel von Luther lernen, verpassen aber eine Chance.
Sie weisen auf ein Beispiel aus der Computerbranche und regen an, von Steves Jobs, dem Mitbegründer von Apple, zu lernen. Was heißt das für die Kirche?
Garth: Wir stehen in der Gefahr, uns anzupassen und den Bedürfnissen der Leute hinterherzurennen. Wir haben aber vom Reich Gottes her einen ganz klaren Auftrag. Das ist nicht gerade das, von dem die Leute sagen: Das brauchen wir. Aber genau darin liegt das Alleinstellungsmerkmal der Kirche und letztlich ihr Erfolgsgeheimnis. Überall, wo sie diesem ursprünglichen Auftrag treu geblieben ist, dort hat sie sehr segensreich gewirkt. Während wir heute in der Gefahr der Selbstsäkularisierung stehen, die ich für eine Fehlentwicklung halte und für einen großen Schaden. Identitätsstiftende Elemente unseres Glaubens, wie zum Beispiel der Sündenbegriff, sind gerade in der Diskussion. Damit würde man Christentum selber abschaffen, weil Erlösung die Kernerfahrung ist.
Es gibt eine Scheu vor dem eigentlichen Auftrag, den Christen haben. Es liegt näher, sich eher auf die Psychologie als auf das Geistliche zu besinnen.
Garth: Ja, das stimmt. Weil uns das Mysterium verloren gegangen ist oder das Herzstück der Spiritualität. Denn christliche Spiritualität ist Jesusfrömmigkeit und kein allgemeines spirituelles Blabla, um das Ego spirituell aufzufrisieren.
Was raten Sie? Wie kann diese christliche Frömmigkeit wieder gewonnen werden?
Garth: Die Schaltstelle dafür ist die Christologie. Die Christologie bestimmt die Missiologie, also die Lehre vom Auftrag der Kirche, und die Missiologie bestimmt die Ekklesiologie, die Lehre von der Gemeinde. Das heißt, wenn die Einzigartigkeit Jesu aufgegeben wird, erleidet die Christologie Schaden und das wirkt sich zerstörerisch aus auf unseren Auftrag und auf die gemeindliche Arbeit. Jesus darf nicht in eine Reihe mit Mohammed und mit Buddha gestellt werden. Das verflacht und verdünnt die Spiritualität. Das führt zu einer großen spirituellen Kraftlosigkeit der Kirche. Wofür evangelische Kirche steht, wird gar nicht mehr wahrgenommen. Alles wird ethisch verdünnt. Da geht es nur noch um das Tun des Guten, des Richtigen. Was die Kirche zu sagen hat, unterscheidet sich kaum noch von dem, was auch wohlmeinende Politiker zu sagen haben.
Stichwort: Sparen in der Kirche. Wie kann die Gemeinde für ihren christlichen Auftrag fit bleiben?
Garth: Wir müssen sparen, weil die Kirchensteuer zurückgehen wird. Im Moment merken wir das noch nicht. Aber wir werden es merken, weil die Mitgliederzahlen erheblich zurückgehen. Die Balance muss erhalten bleiben. In dem Maße, wie die Zahl der Mitglieder zurückgeht, muss auch die kirchliche Verwaltung, die Kirche als Behörde kleiner, also effektiver werden. Weniger Verwaltung! Ich befürchte jedoch, dass eine überbordende Verwaltung eine schrumpfende Basis verwaltet. Wir müssen im Blick haben: Kirche, Kirchenleitung sind Dienstleister. Sie dienen der Kirche vor Ort.
Sie kritisieren den Trend, übergemeindliche Aufgaben zu installieren anstatt die Gemeinde vor Ort zu stärken.
Garth: Ja, das halte ich für einen entscheidenden Fehler. Auch in diesem Punkt muss sich die Kirche auf Luther zurückbesinnen. Gerade an dieser Stelle. Ihm war das Reden von Kirche ganz suspekt. Er hat lieber von der Christengemeinde gesprochen. Ganz einfach, weil ihm diese Kirche als Behörde und als Institution suspekt war und er gesagt hat, das Eigentliche passiert, wo Menschen vor Ort das Evangelium teilen und miteinander leben.
Das Gespräch führte Sabine Kuschel.
Garth, Alexander: Gottloser Westen? Chancen für Glauben und Kirche in einer entchristlichten Welt, Evangelische Verlagsanstalt, 219 S., ISBN 978-3-374-05026-0, 15 Euro
Bezug über den Buchhandel oder den Bestellservice Ihrer Kirchenzeitung: Telefon (0 36 43) 24 61 61
Autor:Adrienne Uebbing |
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