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L U D W I G L E O P O L D
Kein Weimarer Pfarrer hat dagegen protestiert!

Ich habe etwas auf der Post zu erledigen und laufe von der Kaufstraße über den Herder-Platz zur Rittergasse.
Einige Häuser weiter, auf der linken Straßenseite, noch vor dem Schirm-Geschäft Pennewitz, liegt ein kleiner Blumenstrauß auf dem Gehweg: weiße Astern, dazu ein Foto, daneben eine brennende Kerze, wie sie auf unseren Friedhöfen stehen. Ich halte an und betrachte das Foto: es zeigt einen Mann mit Hut in den 50-gern,
wohl genährt, mit einem kleinen Oberlippenbart wie ihn einst "der Führer" trug, bekleidet mit einer Uniform, die Brust voller Orden und Ehrenzeichen, vielleicht in der Uniform des Schützen-Vereins Weimar? Er steht vor dem Schaufenster eines Schuhladens, selbstbewusst, als gehöre der Laden ihm.

Ein großer, junger Mann kommt aus Richtung Theaterplatz vorbei, hält an und fragt: "Haben Sie schon gelesen,
was da steht?" Und als er hört, dass ich ohne Brille bin, liest er den dabeistehenden Text vor: "Ludwig und Elfriede Leopold, Rittergasse 15." "Ach so, sage ich. Das wird die Erinnerung an einen früheren jüdischen Kaufmann sein, der hier einmal sein Geschäft hatte. Heute ist der 9. November, und genau vor 80 Jahren hat es 
die sogenannte "Reichskristallnacht" gegeben, in der in ganz Deutschland die Synagogen brannten, jüdische Geschäfte zerstört und viele jüdische Menschen schikaniert, misshandelt und getötet wurden. Das wird in Weimar nicht anders gewesen sein." Mein Gesprächspartner lässt mich ausreden und sagt dann: "Erinnerung an einen Juden? Das haben wir gleich."

Er öffnet seine Brieftasche, in der ein Blatt mit "JA" und "NEIN" liegt, zieht ein Pendel hervor und pendelt das Blatt aus. Das Pendel schlägt deutlich nach "JA" aus. "Sie haben recht!", sagt er. "Ludwig Leopold war ein Jude!" Ich bin baff und sage: "Ich habe 10 Jahre in einem Haus gewohnt, in dem lange Zeit ein Pendler, Heiler und Pastor gelebt hat." "Ja", sagt er, "die Pendler haben ein besondere Nähe zu Gott!" Wir reden noch ein paar Sätze, und ich erfahre, dass mein Gesprächspartner einige Jahre Klassisches Schlagzeug in Weimar studiert und nicht abgeschlossen hat, aber immer wieder in diese schöne Stadt zurück kehrt. Ein sympathischer Mann! 
Wir verabschieden uns, und jeder geht seiner Wege.

Doch lässt mich die Geschichte nicht los. Wie mag es Ludwig Leopold und seiner Frau an jenem 9. November 1938 ergangen sein? Auf dem Foto macht er einen gut sozialisierten Eindruck. Wie lange mag er hier gelebt haben? Hatte er weitere Familie? Vielleicht war er sogar zum christlichen Glauben konvertiert? Aber das hätte ihm vermutlich auch nichts genützt, wie das Beispiel des früheren Weimarer Solo-Cellisten Eduard Rose' beweist, ein Rumäne des Jahrgangs 1859, seit 1891 evangelisch. Der wurde 1942 nach Theresienstadt ver-
schleppt, wo er ein Jahr später starb. Mir ist nicht bekannt, dass auch nur ein Weimarer Pfarrer dagegen protestiert hätte! Aber die waren in der Regel selbst braun, brauner, am braunsten... Pfui Teufel!

Nachtrag: Es gab einen Weimarer Pfarrer, der nicht alles hingenommen hat, was die braunen Horden so losgelassen haben, und der sich deutlich gegen den Krieg ausgesprochen hat: Pfarrer Alexander Wessel! Doch der war dafür auch in Buchenwald inhaftiert und hatte bis Ende des Krieges Predigtverbot. Ob er sich zum 
9.11.1938 positioniert hat, weiß ich nicht.

Autor:

Martin Steiger

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