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Adventsbräuche: Was wir feiern, was wir »brauchen«

»Alles auf Anfang« – so hieß eine TV-Serie mit dem Obertitel »Männer!« Es ging – vordergründig – um »das Trennungschaos aus männlicher Perspektive« und damit – hintergründig – um einen uralten Traum der Menschen: Alles löschen, auf Null stellen und neu beginnen, auf einem unbeschriebenen weißen Blatt.

Von Christel Köhle-Hezinger

Geht das so? Lassen sich Anfänge so »begehen«? Zwei eng ineinander verwobene Dinge stehen dem entgegen. Es ist die Kultur und die Memoria, das Gedächtnis. Denn Menschen suchten zu allen Zeiten und in allen Kulturen Übergänge zu gestalten.
Der christliche Kalender gibt diesen Prägungen ein Gerüst, gleichsam als Unterfutter. Er gibt Strukturen vor, für das kirchliche wie für das private Leben, die wir aufnehmen und nutzen können: bestimmte Zeiten, Rhythmen und Rituale, sie haben Namen und Sinn, sie geben Ordnungen. Nutzen wir diese ›Ordnungen‹? Fragen wir nach, wenn sie uns fremd sind, sie uns fehlen? Erzählen wir davon? Meine Mutter, gutbäuerlich-fränkischer Herkunft, hatte für die Unordnung, etwa bei Tisch, ein drastisches Bild: Man dürfe nicht »weglaufen wie die Sau vom Trog«. Weglaufen wie die Sau – nein, das ging nicht, das sahen wir Kinder ein. Davor schützte gleichsam das Tischgebet, zu Beginn und am Ende des Essens.
Tischgebete sind bis heute beliebte Rituale, die Gemeinschaft stiften auch an nichtchristlichen Tischen. Doch wie gestalten sich andere Übergänge – am Morgen, am Abend, im Ablauf des Tages, des Jahres, am Jahresende?
Die Adventszeit heute ist gefüllt mit atemlosen Bräuchen – alten, neuen, bunt vermischten, neu gebastelten Versatzstücken privater, globaler und kommerzieller Art. Sie schieben sich zunehmend in die einst braucharme Zeit. Denn mit Martini, dem traditionellen Tag von Gesindewechsel, Schlachten und Feiern begann das vorweihnachtliche Fasten mit seinen einst strengen Speisegeboten, dem Verbot von Tänzen, Hochzeiten und anderen –
auch sexuellen – Lustbarkeiten. Das Kirchenjahr endete mit Stille, Buße, Umkehr, Gedenken.
Mit der Adventszeit kam, auch äußerlich sichtbar, das Leben zurück. Das Warten bis zur Ankunft des Heilandes wurde kulturell ausgestaltet. An Brauchterminen wie dem Andreastag (30. November), dem Thomastag (21. Dezember) und an den Advents-Donnerstagen, den »Anklopfnächten« waren den Kindern kleine Umzüge erlaubt mit Heischebräuchen, dem Betteln um Gaben durch Aufsagen von Versen; im Ablauf durchaus ähnlich dem neuen »wilden« Halloweengetümmel. An diesen Terminen konnte es, wie in den Tagen um Nikolaus
(6. Dezember) in der Dunkelheit draußen durchaus wild zugehen, während es drinnen, in der warmen Stube, Orakelbräuche gab – sie sollten das Wetter, die Zukunft, die Liebe voraussagen. Der 1. Advent als Beginn des neuen Kirchenjahres ist Öffnung zum Neuen, Übergang vom Dunkel des Totengedenkens zum beginnenden Licht der Weihnacht. Adventskränze und »Adventsbäume«, mit Zetteln und Bibelsprüchen behängt, seit dem 19. Jahrhundert aufgekommen, sollten als neue Bräuche dieser Wartezeit sichtbaren Sinn verleihen, den äußeren und inneren Räumen Licht und Wärme geben bis zum Fest der Geburt des Herrn.

Die Autorin ist emeritierte Professorin für Volkskunde.

Autor:

Adrienne Uebbing

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