Erinnerungen an einen wackeren Mann
Cand. theol. Linsenbarth
Der Genannte fristete zehn Jahre lang in Hemleben ein kümmerliches Dasein. Er lebte vom Privatunterricht der Kinder wohlhabender Bauern des Dorfes und von gelegentlichen Vertretungen des Ortspfarrers. Da zu bescheiden und ohne Beziehungen hatte er es nie zu einer eigenen Pfarrstelle gebracht. Als der Pfarrer von Hemleben 1740 verstarb (Johann Sebastian Bach starb 1750.), gab es viele Bewerbungen, weil die Stelle gut dotiert war, aber der Graf von Beichlingen, zu dessen Besitz der Ort gehörte, hatte die Stelle Linsenbarth zu-gedacht. Jedoch wenn die hohen Herren einem Untertan etwas Gutes tun wollen, dann kann es schon sein, dass die Sache einen Haken hat. Im Falle von Linsenbarth hieß das, dass er die gräfliche Kammerjungfrau heiraten
sollte, die in die Jahre gekommen war. Nun, ich denke, er hätte sie nehmen sollten, auch wenn sie vielleicht hundertmal "gräflich durchdekliniert" war. Er hätte eine Stelle gehabt und dazu gewiss eine zeitlebens dankbare Ehefrau. Aber der redliche Candidat lehnte die "gräfliche Gnade" ab und zog sich so den gräflichen Zorn zu.
Damit konnte er in Hemleben nicht mehr bleiben. Als er immer mehr Schüler verlor, packte Linsenbarth seine
Sachen, um in Berlin bei König Friedrich dem II. sein Recht einzufordern. Doch schon an der nächsten Grenze wurde er wegen Devisenvergehens sein Erspartes los, so dass er mittellos und ohne Bleibe nicht ein noch aus wusste. Ein Gastwirt erbarmte sich seiner, ließ ihn in der Hirtenwohnung wohnen und baute ihn moralisch wieder auf. Mit neuer Hoffnung machte sich der Candidat nach Potsdam auf, wo er nach langem Warten über den Gärtner eine Darstellung seiner Lage überreichen ließ. Nach einem" scharfen Examen" durch den Monarchen, bei dem sich Linsenbarth unerschrocken und kenntnisreich zeigte, versprach der König Hilfe. Der
Bittsteller wurde verköstigt und erhielt sein Geld zurück. Die Rechnung des Wirts wurde beglichen, und
Linsenbarth erhielt ein Reisegeld aus der Königlichen Schatulle. Danach lebte er wieder vom Unterricht, führte
ein zufriedenes Leben und verstarb im August 1774. So hatte sich seine Redlichkeit doch gelohnt. Ob er sich später verheiratet hat, und wie es in Hemleben weiter gegangen ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
(Nach der Dorfchronik von Hemleben.)
Autor:Martin Steiger |
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