Dem Geheimnis Gottes auf der Spur
Experten im Glauben, die zwei Bestseller-Autoren Anselm Grün und Tomáš Halík widmen sich dem Unglauben
Von Sabine Kuschel
Sie sind Profis in Sachen Glaube. Beide Theologen, Geistliche, katholisch: Anselm Grün und Tomáš Halík. Gemeinsam widmen sich die beiden Bestseller-Autoren einem Phänomen, von dem sie meinen, dass es für den Glauben eine wichtige Rolle spielt, dem Unglauben, dem Zweifel. »Gottlos werden? Wenn Glaube und Unglaube sich umarmen« – In ihrem Buch sprechen sie dem Zweifel, dem Unglauben, eine für den Glauben vitale, fruchtbare Funktion zu. Glaube und Unglaube, so stellen sie ausführlich dar, gehören zusammen, brauchen einander. Glaube sei ohne Zweifel nicht zu haben.
In die Welt des Glaubens sind die beiden Männer auf ganz unterschiedliche Weise geraten. Der eine wurde hineingeboren, der andere hat sich hineingezweifelt. Für Anselm Grün war der Glaube wie ein feststehendes Haus, unerschütterlich, Geborgenheit spendend. Er wuchs in einer katholischen Familie unmittelbar neben der Kirche auf. Drei Geschwister seines Vaters waren Benediktiner. »Mein Vater war der Einzige in der Familie, der geheiratet hat«, erzählt Anselm Grün. Er selbst äußerte schon als 10-Jähriger den Wunsch, Priester zu werden. Zunächst habe ihn der Glaube so selbstverständlich umgeben, dass der Atheismus nicht zur Anfechtung wurde. Aber im Kloster dann, »als ich alles auf die Karte Gottes gesetzt hatte, wurde die Frage des Atheismus für mich zu einer persönlichen Frage«. Heute, so gibt der Benediktinerpater zu verstehen, ist der Zweifel sein stetiger Begleiter. Wenn er predige, frage er sich immer, ob es stimmt, was er sagt oder ob er sich etwas vormache.
Anders war das bei Tomáš Halík. Er kennt den Zweifel von seiner Jugend an. Er wurde 1948 in der Tschechoslowakei geboren und ist dort aufgewachsen, in einem Land, in dem der Atheismus vonseiten des Staates angeordnet war. »Als 16-Jähriger zweifelt man in der Regel an allen von außen herangetragenen und aufgezwungenen Wahrheiten.« Und so stellte er die Dogmen jener vom Regime aufgezwungenen Ideologie infrage. Bis er sich schließlich am Ende eines langen und verschlungenen Weges zum christlichen Glauben durchgezweifelt hatte.
Halík arbeitete während des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei als Psychotherapeut und wurde 1978 heimlich in Erfurt zum Priester geweiht. Er war enger Mitarbeiter von Kardinal Tomášek sowie Berater von Václáv Havel. Heute ist er Professor für Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität und Rektor der Universitätskirche St. Salvator in Prag.
Die beiden Autoren beschäftigen sich in ihrem Buch intensiv mit dem Atheismus, dem sie eine dem Glauben dienende Bedeutung zusprechen. Die Vorstellungen, die Bilder von Gott seien ebenso vielfältig wie die Art und Weise und unter welchen Pseudonymen Gott einen Menschen anspricht. Vor diesem Hintergrund, so Halík, erinnere der Atheismus daran, dass jeder menschliche Begriff in Beziehung auf Gott nur wie ein Finger ist, der auf den Mond zeigt und nicht der Mond selbst. Wissen wir also gar nichts von Gott? Wenn fast alles ungewiss ist, was ist gewiss? Halíks Antwort fällt kurz und knapp aus: »Gott ist Geheimnis.«
Der Weg des Glaubens, den die beiden Priester gegangen sind, ist ein langer. Sie haben sich unter anderem mit atheistischen Philosophen und mit der Psychologie auseinandergesetzt. Sie kennen die Anfechtungen des Glaubens durch den Zweifel persönlich und aus der Erfahrung als Seelsorger. Die Erkenntnisse, die sie als Gläubige gewonnen haben, sind einander ähnlich, fast identisch, aber sie öffnen mit ihrer Sprache unterschiedliche Fenster. Sie gewähren damit interessante Einblicke in ihre Glaubenswirklichkeit, Einblicke in das Zuhause zweier Christen, Gottsucher, deren Berufung es ist, dem Geheimnis Gottes näherzukommen.
Für Anselm Grün bedeutet Glauben, Gott zu suchen. Er begegne sehr oft Menschen, die gern glauben möchten, jedoch meinen, dies nicht zu vermögen. Ihnen sage er, die Sehnsucht, glauben zu wollen, sei schon Glauben. Im Fragen und Suchen sieht der Benediktinermönch die Chance, tiefer in den Glauben vorzudringen. »Eine Frage stellen heißt, so sagt es uns die deutsche Sprache, eine Furche graben. Wenn wir uns infrage stellen lassen in unserem Glauben, dann lassen wir in den Acker unserer Seele eine Furche graben. Und in dieser Furche kann eine neue Saat aufgehen. Da kann unser Glaube neu aufblühen. Er wird immer wieder aufgelockert, damit er mehr Frucht bringt. Die Frage zwingt uns, immer tiefer zu überlegen: Wer bin ich eigentlich? Was ist das Leben? Was ist der Mensch? Was oder wer ist Gott?« Wer der Frage bis auf den Grund folge, werde immer tiefer in den Grund seiner Seele vorstoßen. »Und auf dem Grund meiner Seele stoße ich auf das Geheimnis, das größer ist als ich: das Geheimnis Gottes.«
Für Halík ist Gott ebenfalls Geheimnis, und Glaube die Sehnsucht, diesem näherzukommen. »Mit einem Geheimnis können wir nie fertig werden, es hat keinen Boden. Das bedeutet nicht, dass wir vor dem Eintreten in das Geheimnis ein Stoppschild stellen müssten, im Gegenteil: Das Geheimnis bietet eine unausschöpfliche Menge von Interpretationsmöglichkeiten. Nur müssen wir uns bewusst sein, dass alle unsere Ausdrücke, die wir für das Geheimnis benutzen, den Charakter eines Bildes, eines Gleichnisses, einer Metapher oder bestenfalls einer Analogie haben.«
Das Buch hält reichlich Glaubensgewissheiten und Einsichten bereit. Nach all den Ausführungen über den Unglauben und die Skepsis darf man schlussfolgern, dass diese Einsichten und Gewissheiten Früchte sind, gewachsen in kritischen Phasen, in Zeiten der Anfechtung und des Fragens. Denn wie Halík sagt, gewinnt er neue Einblicke meistens nach Krisen. Sie tauchen dann auf, Einblicke, sind wie Lichtstrahlen, die auf dem Glaubensweg weiter voranbringen.
Grün, Anselm/Halík, Tomáš/Nonhoff, Winfried (Hg.): Gott los werden? Wenn Glaube und Unglaube sich umarmen, Vier-Türme-Verlag, 207 Seiten, ISBN 978-3-7365-0030-3,
19,99 Euro
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