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Die Bibel ist kein Therapiehandbuch

Leiden an der Einsamkeit: Nur rund ein Drittel der Patienten in Psychotherapien sind männlich. Dabei leiden Männer genauso häufig an psychischen 
Erkrankungen wie Frauen – nur wird das seltener diagnostiziert. Es fällt ihnen schwerer, über Gefühle wie Ängste oder Schuldgefühle zu berichten. | Foto: epd-bild
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  • Leiden an der Einsamkeit: Nur rund ein Drittel der Patienten in Psychotherapien sind männlich. Dabei leiden Männer genauso häufig an psychischen
    Erkrankungen wie Frauen – nur wird das seltener diagnostiziert. Es fällt ihnen schwerer, über Gefühle wie Ängste oder Schuldgefühle zu berichten.
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Leidenszeit: Die Passionszeit gibt Anlass, um über Leid zu reflektieren. Dr. Christian Schäfer, Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Altenburg, erklärt, wie er mit dem Leid in seinem beruflichen Alltag umgeht.

Welche Erfahrungen machen Sie als Mediziner im Umgang mit Patienten und deren Leid?
Schäfer:
Leid als zum Leben gehörig wird nur noch von wenigen akzeptiert. Wir leben in einer Gesellschaft, die seit Jahrzenten keine tiefgreifende Leiderfahrung mehr gemacht hat. Wir sind Gott sei Dank seit über 70 Jahren bewahrt vor Krieg, Hunger oder evidenten Naturkatstrophen. Dies prägt meine und die jüngeren Generationen. Und dennoch ist Leid allgegenwärtig. Gerade psychische Erkrankungen scheinen eher zuzunehmen, die Suizidalität steigt, der Suchtmittelmissbrauch nimmt nicht ab. Gerade jüngere Menschen verletzen sich selbst, ohne dass ein Trauma zu eruieren ist, quasi aus Langeweile. Vielleicht zeigt sich dadurch auch, dass der Mensch immer auf der Suche nach dem Sinn ist.

Woran leiden Menschen nach Ihrer Erfahrung am meisten? Gibt es das Leid, das typisch ist für unsere Zeit?
Schäfer:
Neben den klassischen psychischen Erkrankungen erlebe ich die Einsamkeit der Menschen als eine neue Leidensdimension. Gerade jüngere und ältere Menschen haben oft nur wenig lebendige Kontakte. Die jüngeren sind sehr auf sich bezogen, das »ich« dominiert über dem »wir«. Unsere Gesellschaft fördert sehr den selbstbezogenen Narzissmus, was dann euphemistisch als freie Willensentscheidung postuliert wird. Im Alter ist die Einsamkeit oft tödlich: im Gespräch mit dem Leiter meines hiesigen Gesundheitsamtes müssen wir immer wieder voller Betroffenheit über die Suizide älterer Menschen – meist Männer – sprechen. Diese waren nicht »krank« im engeren Sinn, hatten jedoch keine Bezüge mehr in einem sozialen System.

Wie werden Patienten mit ihrer Krankheit fertig, wie bewältigen sie ihr Leid?
Schäfer:
Sehr unterschiedlich. Manche verfallen in Selbstmitleid und Verbitterung. Manche »lernen« ihre psychische Erkrankung auch als Druckmittel zu benutzen um versorgt zu werden oder um sich nicht mit den Anforderungen, die ihnen das Leben stellt, zu konfrontieren. Wir sprechen dann auch von sekundärem Krankheitsgewinn. Andere versuchen nach einer Krankheitsphase und anschließender Gesundung, diese schnellstmöglich zu vergessen. Wiederum andere akzeptieren diese Phase als Teil ihrer Lebensgeschichte.

Gibt es eine Lebenseinstellung, die vor Leiden schützt?
Schäfer:
Nein, und da bin ich auch sehr froh darüber. Es gibt kein Allheilmittel gegen Leid. Weder gibt es Medikamente noch irgendeine Form der Psychotherapie, die gegen Leid immun macht oder schützt. Und alle diejenigen, die dies versprechen, möchte ich als Scharlatane und Rattenfänger bezeichnen. Wohl aber gibt es Möglichkeiten mit Leid umzugehen, dies im eigenen Leben einzuordnen, zu akzeptieren und den Herausforderungen des Lebens mit Weisheit zu begegnen.

Was kann ich tun, um seelisch gesund zu bleiben? Bietet das Christsein, der Glaube eine Hilfe?
Schäfer:
Zuallererst: Suchen Sie Begegnung! Suchen Sie Menschen, von denen Sie profitieren. Und das kann fordern. Guter Austausch, sinnvolle Auseinandersetzungen, gemeinsames Lachen helfen. Wir müssen wieder lernen zu kommunizieren und im Gespräch zu bleiben. Und die geistige Beweglichkeit erfordert aber auch die körperliche Beweglichkeit: Sport, wie auch immer, hilft bei fast allen psychischen Erkrankungen.
Und: Auch der Glaube hilft. Aber Vorsicht! Er heilt nicht, abgesehen von Wundern, diese sind aber selten. Wenn mein Leben eine spirituelle Dimension hat und diese positiv besetzt ist, dann ist der Glaube Lebensanker in einer als Chaos erlebten inneren und äußeren Welt.

Was können Sie als Christ leidenden Menschen mit auf den Weg geben?
Schäfer:
Die Bibel ist voll von Leidensberichten. Und nicht alle gehen gut aus. Das Schöne an der Bibel ist, dass sie Geschichten erzählt ohne dass sie diese bewertet. Ab und zu wird gesagt wie Gott darüber denkt. Und normalerweise ist seine Ansicht gut nachvollziehbar. Deshalb sind diese Geschichten in gewisser Weise zeitlos. Und auch unabhängig davon, ob ich Christ bin oder nicht, haben sie eine tiefe Weisheit. Wie gehen die Menschen in der
Bibel mit Leid um? Was hilft? Ist es Rache und Vergeltung? Oder ist Vergebung der heilsame Weg? Was ist der Sinn des Lebens für mich? Dabei möchte ich betonen, dass die Bibel kein Therapiehandbuch ist. Sie ist mehr. Heil und Heilung sind nicht dasselbe.

Leid bietet die Chance zu reifen und zu wachsen. Ist diese Erkenntnis für Sie im beruflichen Alltag Motivation und Hoffnung?
Schäfer:
Leid und Krankheit kann Menschen sprichwörtlich brechen und in die Verbitterung führen. Aber ebenso kann die Erfahrung der Tiefe, des Hingeworfenseins, der absoluten Hilflosigkeit Menschen erst zu Menschen werden lassen. Barmherzigkeit und Demut sowie Verständnis für meinen Mitmenschen sind Grundbausteine des menschlichen Zusammenlebens. Ich will Menschen ein Begleiter auf ihren schwierigen Wegstrecken sein, in der Hoffnung, dass sie danach gereift und dankbar wieder ihren eigenen Weg gehen können.

Gibt es Erfahrungen, die Sie in der Auffassung, dass Leid zur persönlichen Entwicklung beitragen kann, bestärken?
Schäfer
: Vor kurzem war ich auf einem Treffen christlicher psychiatrischer Chefärzte. Wir hatten als Thema unsere eigene Bedürftigkeit und die Einsamkeit in Leitungspositionen. Sehr offen berichteten wir über unsere eigenen »Leid«-Erfahrungen, über die eigenen Wüstenwanderungen. Glauben Sie mir: auch wir werden nicht verschont von psychischen Grenzerfahrungen und tiefer Erschöpfung.
Vielen hilft eine gesunde Partnerbeziehung und das Wissen, in die jetzige Position berufen worden zu sein, um dort gute Arbeit zu leisten.

Die Fragen stellte Sabine Kuschel.

Leiden an der Einsamkeit: Nur rund ein Drittel der Patienten in Psychotherapien sind männlich. Dabei leiden Männer genauso häufig an psychischen 
Erkrankungen wie Frauen – nur wird das seltener diagnostiziert. Es fällt ihnen schwerer, über Gefühle wie Ängste oder Schuldgefühle zu berichten. | Foto: epd-bild
Dr. med. Christian Schäfer, Chefarzt für Psychiatrie | Foto: privat
Autor:

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