Ich bin ganz Ohr
Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.
Jesaja 50, Vers 4 b
Von Ehrenfried Krüger, Pfarrer in Brand-Erbisdorf
Dass einer über seinen Körper spricht, über sein Ohr, seinen Mund, seinen Rücken, seine Wangen, sein Gesicht, das ist uns nicht fremd. Wir tun es auch. Wir klagen über unser schlechtes Hören oder darüber, wie schlecht andere hören. Wir klagen über die eigene Zunge: ein falscher Zungenschlag richtet mitunter viel Unheil ein. Wir klagen über unsere Rückenschmerzen, weil wir zu viel zu tragen haben oder weil die Anspannung unseren Körper fest in Griff hat.
Hier redet einer über seinen Körper und klagt, dass Gott ihm diesen Körper so zugerichtet hat. Trotzdem wendet er sich nicht von Gott ab, sondern sucht seine Hilfe. Er wendet sich in dem Leid, das ihm zugefügt wurde, nicht von Gott ab, sondern ihm zu. Er bleibt gehorsam. Nur mit Gottes Hilfe kann er seine Sinne, das Reden, Hören und Fühlen, recht gebrauchen. »Gott, der Herr, hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben …«. Hier redet einer, der vorher gehört hat. Jünger haben einen Meister, auf den sie hören, dem sie gehorsam sind und in dessen Auftrag sie reden. Dieser Auftrag lautet, mit den Müden zu reden. »Die Müden« sind alle diejenigen, die sich vergeblich abgemüht haben, die körperlich und seelisch Verbrauchten, die Ausgebrannten, das sind die, die keinen Anschluss an eine Kraftquelle haben.
Die Aufgabe eines Jüngers ist es, sich um andere Menschen zu kümmern. Ein Jünger macht den Müden keine Sorgen, er trägt ihre Lasten mit. Er tut es, indem er zuhört. Dafür wird er von Gott vorbereitet: Gott weckt ihm das Ohr und macht ihn aufnahmebereit für die Not der Müden. Hören heißt: auf jemanden achten. Wir sagen: »ich bin ganz Ohr« und meinen damit, dass wir uns auf unser Gegenüber einstellen. Nicht nur dessen Worte gilt es zu hören, sondern auf den ganzen Menschen ist zu achten. Sein Verhalten spricht ebenso wie die Worte, die er redet.
Ernst Barlach hat eine Plastik geschaffen mit dem Titel: »Der Hörende«. Der Künstler stellt einen Menschen dar, der ganz Ohr ist. Mit der Hand vergrößert er die Ohrmuschel, um noch besser hören zu können. Der ganze Mensch ist nur auf eines ausgerichtet: auf das Hören. »Gott hat mir das Ohr geöffnet« – so hören Jünger, damit sie »wisse(n), mit den Müden zur rechten Zeit zu reden.« In der Schule Gottes kann das gelernt werden.
Autor:Online-Redaktion |
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