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Kritisch, seelsorgerlich, solidarisch

Christoph Seele | Foto: Steffen  Giersch

Welche Rolle spielt die lutherische Zwei-Reiche-Lehre in der heutigen Gesellschaft? Ein Gespräch mit Oberkirchenrat Christoph Seele, Beauftragter der Evangelischen Landeskirchen beim Freistaat Sachsen. Mit ihm sprach Sabine Kuschel.

Herr Oberkirchenrat Seele, taugt die Zwei-Reiche-Lehre noch für unsere heutige säkulare Gesellschaft?
Seele:
Bei der sogenannten Zwei-Reiche-Lehre handelt es sich nicht nur um eine Verhältnisbestimmung, sondern auch um eine Orientierungshilfe: Christen sollten eine Orientierung für ihr praktisches Leben erfahren. Dabei war die Frage wichtig, wie man sich als Christ gegenüber der »Obrigkeit« verhalten soll, muss oder auch
kann.
Aus der »Obrigkeit« ist im Laufe der Geschichte der Staat geworden. Die Geschichte hat gezeigt, dass wir als Christen diese Verhältnisbestimmung und die sich daraus ableitende Orientierungshilfe immer wieder neu definieren müssen.

In der DDR war die Diskussion um die Zwei-Reiche-Lehre von ziemlicher Brisanz. Wie sieht das heute aus?
Seele:
Die Kirche ist heute ein wichtiger und auch respektierter Teil unserer Gesellschaft. Sie ist mit ihrem vielfältigen Engagement aus unserem Leben, aus der Öffentlichkeit nicht wegzudenken. Das Verhältnis der Kirche zum Staat in unserer Gegenwart beschreibe ich gerne mit dem Begriff der »kritischen Solidarität«: Wir reflektieren kritisch politische Entscheidungen von Amts- und Mandatsträgern, sehen zugleich aber immer auch mit diesen Entscheidungen den Menschen, der untrennbar mit diesen Entscheidungen als Entscheidungsträger verbunden ist. So tritt neben eine teilweise kritische Beurteilung des politischen Geschehens eine seelsorgerliche Zuwendung und solidarische Dimension.

Luther hat vor der Vermischung von weltlichem und geistlichem Regiment gewarnt. Besteht diese Gefahr heute?
Seele:
Nein, eine solche Vermischung sehe ich nicht prinzipiell. Dass sie mitunter in dem Handeln Einzelner geschehen mag, steht nicht für eine systemische Vermischung. Wir leben in einem Land mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die sowohl eine Religionsfreiheit beinhaltet als auch von einer Trennung von Staat und Kirche ausgeht. Dabei sind Staat und Kirche wechselseitig aufeinander angewiesen. Die soziale Marktwirtschaft basiert beispielsweise ganz stark auf dem Prinzip der Subsidiarität, also der Übernahme von Leistungen, für die der Staat gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern verfassungsrechtlich verpflichtet ist und diese erbringen muss, aber dabei auf die Hilfe anderer angewiesen ist; so beispielsweise auch auf die »Dienstleistungen« der Kirche. Das erleben wir in dem Bereich der Bildung ebenso wie in dem Bereich der Gesundheitsfürsorge und an vielen anderen Stellen mehr.

Gibt es Fragen mit Konfliktpotenzial?
Seele:
Wir müssen uns dort klar äußern, wo wir mit unseren Kompetenzen gefragt sind. Wie sollen andere wissen, woran wir glauben, wenn sie nicht hören, was wir zu sagen haben? Dabei bestehen meines Erachtens diese Kernkompetenzen in den Handlungsfeldern der Friedensarbeit, von Fragen der Gerechtigkeit und des Engagements für die Schöpfung. Hier werden wir oft gefragt und manchmal sind unsere Antworten auch unbequem. Dabei sehe ich sowohl den einzelnen Christen in seinem je eigenem Lebensraum vor Ort wie auch die Kirche als Institution mit ihren Repräsentanten in einer Verantwortung, aus dem christlichen Bekenntnis heraus die politischen Gegebenheiten kritisch, aber solidarisch zu reflektieren.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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