Einen Eid leiste ich in keinem Fall
MUSTERUNG
Als im Oktober 1961, nachdem der Bau der Mauer begonnen hatte, in einer Vollversammlung des Lehrkörpers und der Studentenschaft der Hochschule für Musik "Felix Mendelssohn-Bartholdy" Leipzig einer der Gesangs-Studenten aufsprang (Er konnte zwar nicht besonders gut singen, aber er hatte das richtige Parteibuch!) und eine flammende Rede hielt des Inhalts, dass "der sozialistische Student" natürlich bereit sein müsse, im Falle eines Krieges "die Heimat mit der Waffe in der Hand zu verteidigen", da wurde ich nach einigem Hin und Her, weil ich nicht unterschreiben wollte, exmatrikuliert, und am "Schwarzen Brett" stand, dass der Student Martin Steiger sich als "unwürdig erwiesen" habe und die Einrichtung verlassen müsse. Das war am 18.12.1961 und über Weihnachten und mein weiteres Leben legte sich ein leichter Schatten. Viel später, 2008, erfuhr ich, dass auch die Studenten der Abteilung Kirchenmusik nicht unterschrieben hatten. D.h. sie hatten unterschrieben, aber einer der Studenten (V.B.) hatte das Blatt mit den Unterschriften im Zorn zerrissen, was für sie jedoch folgenlos blieb. Sie hatten als zukünftige Kirchenmusiker einen Sonderstatus.
Nachdem ich mich neu orientiert und ein Theologiestudium begonnen und abgeschlossen hatte (Studenten wurden nicht gezogen!), und nachdem ich eine Anstellung bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen erhalten hatte, bekam ich eines Tages die Aufforderung, beim Wehrkreiskommando Weimar, Straße, Haus-Nummer, vorstellig zu werden zwecks Musterung der Jahrgänge sowieso zur "Reserve". Ich war zum Termin dort und wurde zunächst auf meinen Gesundheitszustand überprüft. Ein Dr. Schmidt von der Heilstätte Bad Berka war der untersuchende Arzt. Er sagte, es sei ungewöhnlich, dass Leute meiner Berufsgruppe gemustert würden, und (leider) sei ich völlig gesund und käme für eine "Rückstellung aus gesundheitlichen Gründen" nicht in Frage.
Dann saß ich dem Leiter des Wehrkreiskommandos gegenüber (Da ich nicht "gedient" habe, sind mir militärische Rangfolgen nur im Groben verständlich!), und er erklärte mir, dass ich für "Werkstätten und Versorgung" ("Kammerbulle") vorgesehen sei und mit meiner Einberufung demnächst zu rechnen habe. Ob ich noch etwas sagen wolle? Ja, das wolle ich. Mein Problem, sagte ich, sei der Eid. Wenn ich schon schießen müsste, dann würde ich gern selbst entscheiden, auf wen oder was ich schieße. An Waffen sei ich interessiert und schießen würde ich aus sportlichen Gründen nicht ungern. Aber einen Eid würde ich unter keinen Umständen leisten! Da war mein Gegenüber verblüfft, schwieg eine Weile und erklärte dann, dass ich das Problem bitte schriftlich fixieren und dem Wehrkreiskommando zuschicken solle.
Dieser Aufforderung bin ich nachgekommen. Wieder war es vor Weihnachten. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch leistete ich meine Arbeit, und Festtage und Jahreswechsel gingen vorüber. Aber für dieses Mal hatte wohl ich den Sonderstatus. Zum Glück und "Gott sei Dank!" habe ich nie wieder etwas von diesen Herren gehört! Wie es ihnen wohl heute gehen mag?
Autor:Martin Steiger |
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