Uns selbst zuwider – vor Gott
Buß- und Bettag am 22. November: Vom Sinn und Ziel der Buße
Von Ulrich Schacht
Wer Buße sagt als Christ, muss sie auch tun. Aber was heißt Buße? Was meint sie, wenn sie nicht in einem formal-juristischen Sinne abgeleistet werden soll für eine (Straf-)Tat, eine Schuld, die nach Buße verlangt, nach Ablass oder Ableistung aber getilgt ist?
Luther hat das »dritte Sakrament«, wie er die Buße auch nennt, in seinem »Großen Katechismus« nicht nur scharf umrissen, er hat sie vor allem tief verankert. Verankert im Ur-Sakrament der Taufe selbst, deren »Kraft und Bedeutung« sich in der Buße wiederhole: »Denn was heißet Buße anders als den alten Menschen mit Ernst angreifen und in ein neues Leben treten?« Darum stünde jeder, der in der Buße lebe, »in der Taufe, welche solches neues Leben nicht allein deutet, sondern auch wirkt, anhebt und treibt«. Werde darin doch »Gnade, Geist und Kraft gegeben, den alten Menschen zu unterdrücken, daß der neue hervorkommt und stark werde«.
Der alte Mensch und der neue Mensch – wenn Luther davon spricht, dann spricht er nicht von äußeren, von gesellschaftlichen oder geschichtlichen Umständen, sondern von uns und unserem innersten Sein. Es geht um mehr als nur um vieles, es geht, fernab von Wandlung durch Pädagogik oder Psychoanalyse, um alles oder nichts, um die ganze Existenz und die Existenz als Ganzes. Der Kampfplatz zwischen altem und neuem Menschen, heißt das, ist nicht die politische Stunde Null, nicht die fortschrittliche Operation Zukunft, schon gar nicht die Revolution im Sinne Münzers oder der Wiedertäufer und ihrer säkularen Nachfolger aller Varianten und Zeiten. Sie wollten der himmlischen Gerechtigkeit eine blutige Schneise ins Irdische schlagen. Aber auch nicht der Auftritt wohlfeiler Ablasshändler, wie wir sie heute, in orwellschem Säkular-Sprech und kommissarischer Erlösungs-Gestalt, geradezu inflationär erleben, ist
gemeint.
Der Kampfplatz ist unsere Seele zwischen Teufel und Gott. Schon in seiner »Ersten Psalmvorlesung« geht Luther dem Konflikt radikal auf den Grund, stößt vor in eine Tiefe, die wir gerne zu erreichen vermeiden. Besonders in unserer Fähigkeit, Bußfertigkeit zu simulieren, indem wir uns von negativ gedeuteten Umständen und ihren Verursachern distanzieren. Oder uns rechtfertigen, indem wir sie verurtei-
len – ob geschichtlich kontaminierte oder solche, die dem Zeitgeist als Übel gelten. Der Zeitgeist für Luther manifestierte sich in den Texten und Reden der Scholastiker seiner Zeit: »Was unsere Scholastiker«, heißt es in seiner Auslegung von Psalm 1, »also in ihrer theologischen Sprache Bußhandlungen nennen, nämlich sich selbst missfallen, sich zuwidersein, verdammen, anklagen, rügen wollen, sich selbst strafen, züchtigen und wirklich das Böse hassen und sich zürnen, das nennt die heilige Schrift mit einem Wort ›Gericht‹ (V. 5).«
Das aber ist Luther zu wenig, das ist nicht einmal die halbe Buße, geschweige denn die ganze Rechtfertigung. Denn solange »wir uns … nicht selbst verurteilen, exkommunizieren, uns vor Gott zuwider sind, solange bestehn wir nicht und werden nicht gerechtfertigt«. Worauf Luther hier abzielt, hat Eberhard Jüngel einmal den Verlust der »ungehemmten Lebensgemeinschaft mit Gott« genannt. Um sie wieder zu erhalten, müssen wir erkennen, dass es nicht reicht, wenn wir uns in unserem Verhalten vor der Welt zuwider sind, sondern zuerst und zuletzt vor Gott, weil wir die Lebensgemeinschaft mit ihm verlassen, angegriffen, zerstört haben – erst dann ist Umkehr möglich, Metanoia, wie der Begriff im neuen Testament dafür lautet.
In Lukas 3,7 ist dieser Bußaufruf – mit Zorn verkündet von Johannes dem Täufer einer zwar taufbereiten, aber immer noch zu selbstgewissen »Schlangenbrut« – verbunden mit einer unmissverständlichen Gerichtsankündigung, einer Generalabrechnung: »Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.« Diesen Aufruf zu totaler Metanoia verbindet Jesus schließlich mit der Ankündigung der entscheidenden befreienden Perspektive, der Königsherrschaft Gottes: »Doch sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.« (Lukas 10,9).
Diese bevorstehende Königsherrschaft Gottes aber ist das absolute Gegenteil eines eintretenden Politikums. Sie ist die Wahrheit, die frei macht, wie es bei Johannes heißt (8,32). Und nur in ihr »erfüllt sich die Bestimmung des menschlichen Lebens« (Eberhard Jüngel). Buße ist somit nicht Aufbruch in eine »hypertrophe Gewissensethik« (Klaus Berger), um mit sich wieder ins Reine zu kommen, sondern der so wieder wahr werdende Mensch, sagt Luther, tut »frei, fröhlich und umsonst«, »mit Lust«, »aus Liebe und Freiheit«, was Gott wohl gefällt. Metanoia, heißt das, ist die einzige Revolution, aus der der Mensch je und je neu werden, zum neuen Menschen werden kann.
Der Autor ist Schriftsteller und Theologe, er steht der evangelischen Bruderschaft St.-Georgs-Orden vor.
Autor:Adrienne Uebbing |
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