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Aktennotiz
ABLEHNUNG EINER BESTATTUNG

An einem Samstag des Jahres 1994 waren wir, meine Frau und ich, ganztägig nicht in unserem Flecken. Meine Frau hatte Sitzung der KV (Kassenärztliche Vereinigung) in Weimar; und ich war zur Lutherischen Bekennt-nisgemeinschaft  in Arnstadt. Anschließend waren wir noch zu einem 60. Geburtstag bei Freunden, von dem wir 19.15 Uhr heimkehrten. Hier fanden wir unsere Kinder in heller Aufregung, Beate konnte sich lange nicht beruhigen. Was war geschehen?

Ein nominelles Gemeindeglied war nach schwerer Krankheit im Krankenhaus verstorben. Dessen Schwestern waren mehrfach dagewesen, um mit mir über die Bestattung ihres Angehörigen zu sprechen, und mit jedem Mal gerieten sie mehr in Rage, weil ich nicht da war, und unsere Kinder nicht sagen konnten, wann wir zurück-kehren würden. Doch das hatten wir nicht sagen können, als wir losfuhren. Unsere Küsterin war zu dem Zeit-punkt im Dorf. Die Frauen beschimpften unsere Kinder, drohten, in die Schule zu kommen und machten abfäl-lige Bemerkungen über uns. Ich informierte mich nach unserer Rückkehr in der Kartei und sah, dass der Ver-storbene seit Jahren R.r. hatte, also Rechte ruhen, ging  zur Küsterin und erklärte ihr alles, fuhr zu der Frau, die
vor Ort das Kirchgeld erhebt, und erhielt als Information, dass Herr X. noch nie Kirchgeld bezahlt hatte (Eine echte Kirchensteuer durfte in der DDR ja nicht erhoben werden!). Zurückgekehrt fand ich die beiden Frauen
bei unserer Küsterin vor. Deren Aussage, ich sei unterwegs, um die Kirchenzugehörigkeit ihres Bruders zu klären, hatte sie erneut in Rage gebracht: ihr Bruder sei getauft. Sie würden sich beschweren und an die Zeitung wenden etc. Ich bat die Frauen in meine Amtszimmer und fasste, nachdem ich ihnen kondoliert hatte zusammen: getauft, ja; aber nicht konfirmiert und nie gezahlt. R.r. seit 1984. Also keine Ansprüche. Ich wolle ihnen aber entgegen kommen, wenn sie mir entgegen kämen in Form einer Nachzahlung von 100.-- MDN. Dann könnte ich die Feier übernehmen. Aber Protest. Unter "Absingung hässlicher Lieder" verließen sie mein Zimmer. Vor allem eine der Frauen war ohne jedes Entgegenkommen. Ich versuchte noch, sie umzustimmen und redete beruhigend auf sie ein. Sie solle die Entscheidung überschlafen. Anders ginge es nicht im Blick auf diejenigen, die jahrelang treu gezahlt hatten. Aber kein Einlenken.

Ich muss sagen, dass diese Sache uns sehr bewegt hat., auch wenn beide Frauen durch ordinäre Redeweise hinlänglich bekannt sind. Am Geld kann es von Seiten der Familie nicht gelegen haben, denn es wurde geäus-sert: "Und wenn die staatliche Rednerin 200.--MDN kostet, dann zahlen wir es eben!" Der Erfolg: sie grüßen nicht mehr, auch meine Frau nicht, die ja mit meiner Entscheidung nichts zu tun hat. Tochter X. kommt nicht mehr zum Unterricht. Sie werden wohl austreten... Schade. Aber es gibt Regeln, und man kann sich nicht zum Affen machen lassen!

Autor:

Martin Steiger

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