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Boheme in der DDR

Müllplatz-Kunstaktion in Süßenborn bei Weimar im August 1985 mit Ulrich Jadke (links) und Thomas Onißeit (rechts) | Foto: Claus Bach
  • Müllplatz-Kunstaktion in Süßenborn bei Weimar im August 1985 mit Ulrich Jadke (links) und Thomas Onißeit (rechts)
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Neues Standardwerk: Kunst und Gegenkultur im Staatssozialismus

Von Michael von Hintzenstern

Es ist die bisher ausführlichste Darstellung von Kunst und Gegenkultur in der DDR und kann auf Grund ihrer minutiösen Quellenkenntnis als wegweisendes Standardwerk bezeichnet werden: die fast 500 Seiten umfassende und reich bebilderte Monografie: »Boheme in der DDR« von Paul Kaiser. Es handelt sich hierbei um die aktualisierte Fassung der 2007 vom Autor an der Humboldt-Universität in Berlin eingereichten Dissertationsschrift, die mit höchstem Expertenlob bedacht wurde. Das Begleitbuch zu der von ihm und Claudia Petzold konzipierten Ausstellung »Boheme und Diktatur in der DDR« im Deutschen Historischen Museum in Berlin (1997/1998) ist seit Jahren vergriffen. Nun liegt ein Prachtband vor, der tiefe Einblicke in das gesellschaftliche Leben und die Situation jener »Kulturschaffenden« gewährt, die sich kritisch gegenüber dem »real existierenden Sozialismus« verhielten und eigene Entwürfe einbrachten.
Neben 15 Hauptkapiteln, in denen unter anderem die »Boheme als Gegenkultur« und Versuche ihrer »Zersetzung« beleuchtet werden, sind es vor allem die »Fallbeispiele«, die ein lebendiges Bild der speziellen Situation einzelner Protagonisten vermitteln. So musste sich der Leiter der »Klaus Renft Combo« zum Beispiel am 22. September 1975 folgendes vernichtende Urteil der Konzert- und Gastspieldirektion Leipzig anhören, das er heimlich aufzeichnete: »Ich möchte Ihnen im Namen der Kommission mitteilen, dass wir nicht der Auffassung sind, dass dieses Vorspiel heute stattfindet. Und zwar aus folgenden Gründen: Die Texte, die Sie mir übergeben haben …, haben mit unserer sozialistischen Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun. … Wir sind der Auffassung, dass damit die Gruppe Renft als nicht mehr existent anzusehen ist.« (Seite 92)
Im Blick auf die künstlerische Gegenkultur nennt der Autor zwei »institutionelle Schutzmächte innerhalb der DDR – die bundesdeutsche Diplomatie und die Evangelische Kirche«. Die seit 1974 bestehende Ständige Vertretung der BRD in der DDR firmierte diplomatische Empfänge zu künstlerischen Veranstaltungen um, zu denen nicht nur die DDR-Prominenz, sondern auch Verfemte und Ausgegrenzte eingeladen wurden. Hierdurch wurden zahlreiche Begegnungen ermöglicht. Kaiser würdigt aber auch die Rolle der »Offenen Arbeit« der evangelischen Landeskirchen, die seit Ende der 1960er-Jahre »unangepasste Jugendliche und Sondergruppen« sammelte und aktivierte. »In den 1970er-Jahren öffnete sie sich auch für die konfessionslosen Akteure und Gruppen der künstlerischen Boheme und fungierte für diese als Podium, Schutzraum und ›Konfliktregulierungsinstanz‹, auch wenn dieses Engagement innerkirchlich stark umstritten blieb«, heißt es da weiter. Zur inhaltlichen Vertiefung gibt es eine Reihe von Anmerkungen, in denen auch der thüringische Pfarrer Walter Schilling (Braunsdorf) als eine der »Zentralfiguren der Offenen Arbeit« genannt wird.

Kaiser, Paul: Boheme in der DDR. Kunst und Gegenkultur im Staatssozialismus, 480 Seiten, Dresdner Institut für Kulturstudien, ISBN 978-3-9816461-5-3, 48 Euro
Bezug über den Buchhandel oder den Bestellservice Ihrer Kirchen­zeitung: Telefon (0 36 43) 24 61 61

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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