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Reliquien sind Überreste von Heiligen
RELIQUIEN

Reliquien sind Überreste von Heiligen: Knochen, Zähne, Haare und Textilien, die sie getragen haben, oder von denen man annimmt, dass sie von Heiligen stammen. Man schreibt ihnen bis zum heutigen Tage wunderbare und heilende Kräfte zu. Kirchen mit besonderen Reliquien wurden zu Wallfahrtskirchen wie z.B. der Kölner Dom, wo in einem goldenen Schrein die Gebeine der Heiligen drei Könige liegen sollen, wozu es eine schöne Geschichte gibt. Die Reliquie schlechthin aber war das Kreuz, an dem Jesus von Nazareth gestorben ist. Und als die Kreuzfahrer am 15. Juli 1099 Jerusalem eroberten, war ihnen jedes Mittel recht, um in den Besitz dieses Kreuzes zu kommen. 
Weil nun aber jede Gemeinde den Wunsch hatte, mindestens eine Reliquie zu besitzen, kam es im Mittelalter
zu einem schwunghaften Handel damit, und weil die Nachfrage größer war als das Angebot zu massiven Fäl-schungen. Es heißt, dass alle Splitter vom Kreuz Christi, wenn man sie zusammen tragen würde, mehrere Kreuze ergeben würden. Martin Luthers Kurfürst, Friedrich der Weise, hatte eine große Sammlung von Reliquien, und obwohl er für Luther und die Reformation von größter Bedeutung war, ist er erst kurz vor seinem Tode evangelisch geworden, indem er die letzte Ölung ablehnte und das Abendmahl in beiderlei Gestalt (communio sub utraque) empfangen hat. 
Die Protestanten haben sich in der Confessio Augustana (dem Augsburger Bekenntnis) von 1530 im Artikel 21 (Vom Dienst der Heiligen) klar positioniert, indem sie erklären, dass man der Heiligen gedenken und sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen solle. Zugleich aber sagen sie, dass in der Heiligen Schrift kein Hinweis zu finden sei, dass man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen solle, denn es sei "nur ein einziger Versöhner und Mittler zwischen Gott und den Menschen: Jesus Christus" (solus christus). Da die Protestanten
mit den Heiligen nicht viel "am Hut haben", haben sie mit deren Überresten gleich gar nichts am Hut.
Nun kommt die Reformation aber aus der Römisch-Katholischen Kirche, und die Evangelischen haben die katholischen Kirchen übernommen. Das kann man zwar von der heutigen Johannis-Kirche in die Oldisleben nicht behaupten, denn diese wurde 1910/11 neu erbaut und ist eine typisch evangelische Predigtkirche. Aber
die beiden Vorgängerkirchen, eine romanische und eine gotische von 1506, stammen aus katholischer Zeit. Und so fand sich im Altar der gotischen Kirche beim Abriss derselben  eine Kapsel mit Reliquien, die Johannes dem Täufer, Johannes dem Evangelisten und Bischof Bonifatius zugeschrieben werden. Wohin nun damit? Ich hätte sie in Erinnerung an die Vorgängerbauten und aus Respekt vor dem Glauben der Väter wieder in den Altar versenkt. Das wollte der damalige Ortspfarrer aber wohl nicht, und so stieß ich im hintersten Eck einer Schublade  des Schrankes, in dem auch die Tauf- und Abendmahlsgeräte (die vasa sacra) aufbewahrt werden,
auf die Kapsel mit den Reliquien: drei kleine Knochenteile, in Stoff eingehüllt.
Als ich den zuständigen Oberkirchenrat vor Jahren fragte, was man als evangelische Gemeinde damit machen solle, das sagte er so ein bisschen flapsig: "Na, wegwerfen würde ich sie nicht!" Daran hatte ich auch nicht gedacht. Im Gegenteil. Als ich 1994 Gemeinde und Pfarramt Oldisleben verließ, habe ich darauf geachtet, dass die Kapsel mit den Knochenteilen ins Inventar-Verzeichnis kam.  Das schließt allerdings nicht aus, dass ein neugieriges Pfarrerskind sie eines Tages im Amtszimmer des Vaters findet und aus Unkenntnis in den Mülleimer wirft. Das wäre dann aber mehr als schade!

Autor:

Martin Steiger

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