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Folge 40 – 1997 und 1998
Keine andere Republik, eine andere Politik

Anfang des Jahres 1997 erhitzt ein Papier die Gemüter: die "Erfurter Erklärung", die den "Zustand gnadenloser Ungerechtigkeit" anprangert, wie die Kirchenzeitung titelt. Mitunterzeichner sind die Theologen Heino Falcke und Friedrich Schorlemmer.

Von Dietlind Steinhöfel

Weitere prominente Theologen, Gewerkschafter, Künstler, Politiker und Wissenschaftler aus Ost und West fordern darin einen politischen Machtwechsel und einen neuen gesellschaftlichen Aufbruch. Bei Politikern und Parteien stößt das Papier auf massive Kritik und Ablehnung. Sachsens Umweltminister Arnold Vaatz (CDU) sagt sogar seine Teilnahme am geplanten Kirchentag in Leipzig ab, dem ersten gesamtdeutschen in der ehemaligen DDR, weil Heino Falcke als Prediger für den Schlussgottesdienst vorgesehen ist. Auf einem Treffen der Initiative im Herbst in Erfurt – inzwischen haben rund 43 000 Menschen aus ganz Deutschland die Erklärung unterschrieben – sagt Schorlemmer: "Wir wollen keine andere Republik, sondern eine andere Politik, damit wir keine andere Republik bekommen."
Auch das Sozialwort der beiden großen Kirchen ist weiter im Gespräch. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Katholische Deutsche Bischofskonferenz haben sich nach Monaten der Überarbeitung auf einen Text geeinigt und die Überschrift: "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" gewählt. Landesbischof Roland schreibt: "Das Gemeinsame Wort nennt die Dinge deutlich beim Namen. Es wendet sich gegen eine Marktwirtschaft pur, wie wir sie in den neuen Ländern zum Teil erlebt haben. Priorität hat der Sozialstaat."
Zum Leipziger Kirchentag stehen die sozialen Themen ganz vorn auf der Agenda. Von 80 000 west- und 22 000 ostdeutschen Dauerteilnehmern berichtet die Kirchenzeitung. Man sei ohne Berührungsängste miteinander ins Gespräch gekommen. Die Kollekte des Protestantentreffens (258 551 DM) ist bestimmt für grenzüberschreitende Versöhnungsarbeit in evangelischen Schulen in Palästina und Israel.
Ein viel diskutiertes Thema ist die Sterbehilfe. Die Richtlinie der Bundesärztekammer weise missverständliche Formulierungen auf. Mitarbeiter der Hospizbewegung demonstrieren für ein "Leben und Sterben in Würde". Eine Resolution gegen aktive Sterbehilfe unterschreiben über 100 000 Menschen. Sie wird Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth übergeben.
Innerhalb der Landeskirche geht es um die Konsolidierung der Finanzen und zudem um Überlegungen zu einer Föderation zwischen der Thüringer Kirche und der Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Die Kritik lässt nicht auf sich warten. "Was soll dabei herauskommen, wenn Not und Elend sich zusammentun?", habe man Landesbischof Hoffmann gefragt. Der Magdeburger Bischof Axel Noack macht Mut: "Nun schaun wir mal, sagen wir schon lange. Wir sollten zu dem Satz kommen: Ja, wir wollen!"

Fundstücke
Zitat: Während der gesamtdeutschen Paul-Schneider-Tage anlässlich seines 100. Geburtstages in Weimar sagt seine 93-jährige Witwe: "Halten Sie die Bibel nicht nur für ein schönes Buch. Meinem Mann hat Gottes Wort Kraft gegeben zu leben und zu sterben. Überlegen Sie sich, das bitte ich Sie als alte Frau, was Sie unserem Herrn und Heiland als Antwort geben auf sein Wort. Denn das Wort verlangt eine Antwort."
Melanchthon: 1997 jährt sich der Geburtstag des Reformators Philipp Melanchthon zum 500. Mal. Zahlreiche Veranstaltungen, eine Festwoche und Vorträge würdigen den wichtigen Mann an der Seite Martin Luthers.
Erste Oberkirchenrätinnen: Im Jahr 1998 werden erstmals zwei Frauen in den Thüringer Landeskirchenrat gewählt: die Theologinnen Prof. Marie-Elisabeth Lüdde und Pastorin Marita Krüger.
Gemeinsam: Die Redaktion "Glaube und Heimat", "Der Sonntag" aus Sachsen und "Die Kirche" der Kirchenprovinz Sachsen (KPS) einigen sich auf engere Zusammenarbeit. Ab der Nummer 27/1998 erscheinen die Blätter mit gemeinsamen Layout und fünf gemeinsamen Seiten.

Autor:

Dietlind Steinhöfel

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