Auf zu neuen Ufern
Leinen los: Mit Dr. Hanna Kasparick, Direktorin des Evangelischen Predigerseminars in Wittenberg, traf sich Willi Wild zum Interview an Bord des Hotelschiffs »Junker Jörg«.
Wo halten Sie sich am liebsten auf? Wäre an Deck von »Junker Jörg« ein Lieblingsort?
Kasparick: Er könnte es werden, weil es hier wunderbar ist, direkt an der Elbe, am Wasser, gegenüber den Elbauen, ein weiter Blick unter freiem Himmel. Ich bin das erste Mal hier.
Mein absoluter Lieblingsort ist allerdings mein Balkon. Ich wohne im zweiten Stock und ich habe abends noch den Blick in die Abendsonne und in die Baumkronen. Ein Platz, an dem ich mich erholen kann, und an dem ich mich auch dem Himmel nah fühle.
Können Sie mit Flusskreuzfahrten etwas anfangen?
Kasparick: Das weiß ich nicht, das habe ich noch nicht erlebt. Als Kinder sind wir mit unseren Eltern über den Müggelsee in Berlin geschippert, von Friedrichshagen rüber zum Müggelturm. Daran habe ich schöne Erinnerungen. Und eine Schiffsreise ans Nordkap haben mein Mann und ich auch einmal gemacht, mit dem Postschiff von Bergen nach Kirkenes. Einer unserer eindrucksvollsten Urlaube.
Nehmen Sie sich im Reformationsjahr Zeit für Urlaub?
Kasparick: Ja, wenn auch nicht ganz so viel wie in den vergangenen Jahren. Es ist mir wichtig, ein Stück zur Seite zu treten, aufzuatmen und Kraft zu gewinnen. Und wenn es gut organisiert ist, dann klappt das auch in diesem Jahr.
Wo geht es hin?
Kasparick: Ich werde zum ersten Mal zu Verwandten meines Mannes auf die Nordseeinsel Amrum fahren. Dann will ich mit einer Freundin noch eine Woche in die Provence und Avignon besuchen. Das Gebiet wollte ich schon lange einmal kennenlernen.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb über das Reformationsjahr von der »Pleite des Jahres«. Wie empfinden Sie das?
Kasparick: Das kann ich nun gar nicht nachvollziehen. Sicher, manche Erwartungen haben sich bislang nur zum Teil erfüllt. Aber es gibt ein vielseitiges, interessantes und schönes Angebot. In der Schlosskirche können wir uns über Zulauf nicht beklagen. Manchmal müssen wir sogar die Türen wegen Überfüllung schließen. Es ist bewegend zu sehen, wenn Menschen Tränen in den Augen haben, weil sie an der Wiege ihrer Art zu glauben stehen.
Schade ist, dass die Weltausstellung noch nicht so viele Besucher verzeichnet, wie sie es verdient hat. Aber die Menschen, die da sind, sind begeistert.
Die Schlosskirche war und ist Ihr »Baby«, wenn ich das so sagen darf?
Kasparick: Ein ziemlich großes Baby, ein altes Baby, ein schönes Kind.
Sie haben sich sehr stark engagiert. Sind Sie stolz auf das, was aus dem Schlosskirchen-Ensemble geworden ist?
Kasparick: Ich staune, dass es geklappt hat und ein bisschen Stolz ist auch dabei. Ich freue mich, dass die Schlosskirche und das Schlosskirchenensemble so schön geworden sind. Die Schlosskirche ist aber nicht nur mein Baby. Es ist eine Gemeinschaftsaktion, wie sie nur ein Reformationsjubiläum dieser Größenordnung mit sich bringt. Das Land Sachsen-Anhalt ist daran beteiligt, die Lutherstadt, die Stiftung Luther-Gedenkstätten, die Evangelische Kirche in Deutschland und die Evangelische Kirche der Union (EKU) gemeinsam mit dem Predigerseminar als Einrichtung vor Ort.
Sie haben deutliche Spuren hinterlassen. Nicht zuletzt bei der Namensgebung des Neubaus.
Kasparick: Ja, ein Frauenname war mein Wunsch. Da die Schlosskirche mit Männern gut gefüllt ist, sollte eine Frau Namensgeberin sein. Der Vorschlag Christine Bourbeck kam aber von meiner Kollegin, Dr. Gabriele Metzner. Christine Bourbeck war eine der ersten eingesegneten, noch nicht ordinierten, evangelischen Theologinnen in Deutschland und Leiterin des ersten Vikarinnenseminars der EKU. Sie steht auch dafür, dass der Prozess der Reformation weitergeht.
»Reformation geht weiter« – das klingt für manche nach diesem Jahr bedrohlich.
Kasparick: Das kommt auf die Perspektive an. Die Frage ist: Was feiern wir eigentlich beim Reformationsfest und in diesem Festjahr und was davon kann weitergehen? Welche Bedeutung hat Reformation für uns und unsere Art zu glauben? Es muss nicht sein, dass man nun jedes Jahr drei Ausstellungen plant oder fünf Theaterstücke aufführt. Es geht vielmehr um unser Selbstverständnis als Kirche. Da geht das Gespräch weiter.
Kritiker meinen, die Dekade und das Reformationsjahr sei eine innerkirchliche Veranstaltung geblieben. Sehen Sie das ähnlich?
Kasparick: Wer kommt eigentlich auf welchem Weg zu solchen Annahmen? Wer will das wie messen? In Wittenberg erlebe ich Folgendes: Hier gibt es in der Stadtgesellschaft eine starke Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Man wäre zwar auf dem Holzweg zu glauben, diese Menschen treten jetzt alle in die Kirche ein und lassen sich taufen. Doch Interesse ist geweckt.
Mein Nachbar meinte, dass es toll sei, was jetzt alles in der Stadt passiert und das könne ruhig immer so sein. Und die Kundenberaterin bei der Sparkasse sagte: »Ich nehm alles mit dieses Jahr. Das erlebt man nur einmal.«
Ja, in Wittenberg sind nur 15 Prozent Mitglied einer Kirche, aber es gibt mindestens noch einmal so viele, die sich für die kirchliche Arbeit interessieren und sich auch engagieren. Ganz zu schweigen von dem, was das Reformationsjubiläum im Bildungssektor hervorgebracht hat. Es ist immer eine Frage der Perspektive, ob man das Glas halb leer oder halb voll sieht.
Sie konnten einige gekrönte Häupter in der Schlosskirche begrüßen. Fällt Ihnen der Umgang mit den Hoheiten leicht?
Kasparick: Ich habe mich im Vorfeld erkundigt, damit ich protokollarisch nicht in Fettnäpfchen tappe. Erstaunt hat mich, wie unkompliziert der Umgang dann tatsächlich war. Eindrücklich waren die Gespräche mit Königin Margrethe von Dänemark. Wie aufmerksam sie zugehört hat, wie sie gefragt hat, wie theologisch tief auch ihre Fragen waren, das hat mich beeindruckt. Sie hatte mich bei der Gestaltung ihres Altartuchs sogar um Rat gefragt. Ich sollte neben ihr Platz nehmen und dann wollte sie wissen, was ich in ihrer Arbeit sehe.
Da gibt es ein schönes Foto, wo Sie mit der Königin vor dem Altar sitzen.
Kasparick: Genau, das war die Situation, die ich gerade geschildert habe.
Sie hat Ihnen und Ihrer Familie nach dem Tod Ihres Mannes kondoliert.
Kasparick: Das fand ich tröstlich. Es hat sie sehr bewegt, dass mein Mann nach all den Vorbereitungen das Reformationsjahr nicht mehr erleben konnte.
Vor etwas mehr als einem Jahr fand der Trauergottesdienst in der Schlosskirche statt. Was würde Ihr verstorbener Mann wohl über den Verlauf des Reformationsjahres sagen?
Kasparick: Er hätte sich gefreut und zum Beispiel den Kirchentagsgottesdienst auf der Elbwiese gern mitgefeiert. Die Mischung zwischen dem »Asisi-Panorama« und der Avantgarde-Ausstellung gefiele ihm sicher auch gut. Die Grundsteinlegung des »Asisi-Panoramas« hat er ja noch miterlebt. Und jetzt ist daraus ein intergenerationelles Projekt geworden, wo Großeltern mit den Enkeln und Kinder mit den Eltern hinkommen.
Oder der Schwanenteich bei der Weltausstellung Reformation in den Wallanlagen: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – das waren seine Themen.
Hatten Sie Zeit zu trauern?
Kasparick: Ich denke schon. Im vergangenen Sommer habe ich mir Zeit genommen. Dabei und danach habe ich erfahren, wie wichtig das Trauerjahr ist. Die Familie, die Schlosskirchengemeinde und Frauen, die Ähnliches durchgemacht haben, standen und stehen mir zur Seite. Auch die Arbeit war mir ein Halt.
Zudem hatten Sie im vergangenen Jahr auch noch den 200. Geburtstag des Predigerseminars zu organisieren.
Kasparick: Ja, das stimmt. Aber das haben wir im Team gemeistert. Es war eine sehr schöne Aufgabe.
Ich versuche mal den Begriff Predigerseminar zu übersetzen: Dem Nachwuchs zeigen, wie Pfarrer geht?
Kasparick: (lacht) Das kann man etwas salopp so sagen. Wir begleiten junge Theologinnen und Theologen, auch Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen auf dem Weg in den ordinierten Dienst. Und helfen ihnen, ihre Rolle zu finden und persönlich zu füllen.
Haben Sie den Eindruck, dass die jungen Theologiestudenten wissen, was sie im Pfarrberuf erwartet?
Kasparick: Das ist unterschiedlich. Einige bringen Gemeindeerfahrung mit. Für manche ist tatsächlich erst im Studium die Erstbegegnung mit Gemeindewirklichkeit erfolgt.
Wir haben in Deutschland, historisch gewachsen, die erste Phase mit der universitären Theologie und dann die zweite Ausbildungsphase in den Kirchen und Gemeinden. In ihr geht es nicht einfach nur um die Vermittlung von »Handwerkszeug«, sondern vor allem darum, Klarheit über die eigene Rolle in einem öffentlichen, geistlichen Beruf zu bekommen. Dazu dient das Gemeindevikariat und wir nehmen die Erfahrungen von dort im Predigerseminar auf. Die Reflexions- und Übungsphasen sind mir dabei ganz besonders wichtig.
Stellen dabei auch angehende Theologen fest, dass der Pfarrberuf doch nichts für sie ist?
Kasparick: Ja, und das finde ich gut. Es ist auch eine Zeit der Orientierung und Prüfung.
Wie hat sich der Pfarrberuf verändert?
Kasparick: Er hat sich in den vergangenen 200 Jahren immer wieder verändert. Ich merke, dass wir jetzt eine neue Generation von Vikarinnen und Vikaren haben. Sie sind leistungsbereit, wissen klar, was sie wollen und stellen vieles infrage, beispielsweise: Inwieweit ist das halböffentliche Leben im Pfarrhaus Familien zumutbar? Wie ist es mit dem Dienstrecht, wenn ein Partner nicht in der Kirche ist? Auch im Predigerseminar hat sich einiges verändert. Bis dahin, dass wir im Moment einen Kurs haben, der auf mitgebrachte Kinder Rücksicht nimmt.
Auf dem Land haben die Pfarrer heute viele Gemeinden zu betreuen. Wie bereiten Sie die Vikare darauf vor?
Kasparick: Die entscheidende Felderfahrung passiert in den Gemeinden. Im Predigerseminar versuchen wir, die sich wandelnden Gemeindeformen aufzugreifen und Entwicklungskonzepte zu reflektieren. Gerade die Erprobungsräume in der EKM sind da ein ermutigendes Beispiel. Wir müssen uns verabschieden von bestimmten Formen und die dürfen auch sterben. Aber wir können auch gemeinsam schauen, wo wächst denn schon etwas Neues.
Sie werden als Direktorin des Predigerseminars Ende des Jahres verabschiedet. Was wächst da Neues?
Kasparick: Der Berufungszeitraum von 12 Jahren im Predigerseminar ist um. Die äußeren Bedingungen für einen Leitungswechsel sind günstig. Ich möchte gern noch einmal für zwei Jahre wissenschaftlich arbeiten, passend zu meiner Berufsbiografie im Bereich der neueren Kirchengeschichte.
Aber Sie bleiben der EKM erhalten?
Kasparick: Ich bin und bleibe Pfarrerin der EKM.
Aber zunächst geht es, im wahrsten Sinne des Wortes, auf zu neuen Ufern, beziehungsweise Stränden.
Kasparick: Einmal im Jahr muss ich ans Meer. Sonst kommt die Seele nicht ins Gleichgewicht.
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