Studie
Politisch Verfolgte in der DDR stark von Altersarmut bedroht
Politische Verfolgte der SED-Diktatur in der Hauptstadt sind heute einer Untersuchung zufolge besonders stark von Altersarmut bedroht. Ihr verfügbares Einkommen sei im Mittel deutlich geringer als der Durchschnitt der Bevölkerung Berlins, heißt es in einer Studie des Berliner Instituts für Sozialforschung (BIS) im Auftrag des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten Tom Sello. Das verfügbare Durchschnittseinkommen der Befragten mit Rehabilitierungsantrag betrug demnach ohne die Leistungen aus den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen 1418 Euro. 39 Prozent von ihnen müssen sogar mit weniger als 1000 Euro monatlich auskommen. Zum Vergleich: Das verfügbare Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung Berlins für das Jahr 2019 betrug 1621 Euro.
In einer Online-Befragung im Rahmen der Studie gaben knapp zwei Drittel der SED-Opfer an, dass Ausgleichs-, Entschädigungs- und Unterstützungsleistungen für sie eine notwendige finanzielle Hilfe darstellen. Die Mehrheit der SED-Opfer ist zwischen 50 und 80 Jahren alt, viele von ihnen fühlen sich als Opfer zweiter und dritter Klasse, weil die Hürden für Ausgleichs- und Entschädigungszahlungen hoch sind. Die Entschädigungszahlungen können im Einzelfall bis zu mehreren Hundert Euro in der Summe betragen.
Aufarbeitungsbeauftragter Sello forderte daher Verbesserungen bei den Hilfsregelungen. Im Sinne der zumeist älteren Betroffenen seien schnelle Lösungen gefragt, sagte er. „Um besondere soziale Härten durch die steigende Inflation und den Anstieg der Lebenshaltungskosten abzuwenden, ist es notwendig, die Opferrente deutlich zu erhöhen und fortlaufend zu dynamisieren“, forderte er.
Laut der 178 Seiten umfassenden Studie ist die Verfahrensdauer bei Rehabilitierungen mit sechs bis 18 Monaten zu lang. Antragsformulare wie auch Rehabilitierungsbescheide müssten verständlicher formuliert werden. Zudem seien die Antragsverfahren für die ehemals politisch Verfolgten oft belastend. Geforderte Nachweise beispielsweise von den Versorgungsämtern über Haftzeiten und deren gesundheitliche Auswirkungen seien oft schwer zu erbringen. Hier werde eine „zugewandte, einfache Anerkennung der Schäden gebraucht“, sagte Sello. Er fordert zudem ein Zweitantragsrecht für Betroffene, wenn Gesetze angepasst wurden sowie die Einrichtung eines Härtefallfonds.
Die Studie hat auch die Beratungslandschaft im Land Berlin für Verfolgte der SED-Diktatur unter-sucht und in der Stadt eine große Beratungsvielfalt festgestellt. Demnach wurden zwischen 1990 und 2020 etwa 70 000 Beratungen durchgeführt. Pro Jahr gebe es derzeit etwa 500 strafrechtliche Rehabilitierungen.
Der Beratungsbedarf sei nicht zurückgegangen, konstatieren die Studienautorinnen um Projektleiterin Eva Schulze. Ein Viertel der Betroffenen würden zudem die Beratungsangebote gar nicht kennen. „Unrecht verjährt nicht, das zeigt die Studie sehr deutlich“, sagte die Wissenschaftlerin. Die Langzeitfolgen der politischen Verfolgung seien bei den Betroffenen unübersehbar: „Sie zeigen sich noch heute in gesundheitlicher, oft auch psychischer Belastung und in einer prekären finanziellen Situation.“
Autor:Online-Redaktion |
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