Biografie: Regimekritiker Rochau hat viele Fragen
Leben ohne Mauern?
Es ist wohl fast beispiellos, dass einer, der in der DDR Berufsverbot von seiner Kirche erhielt, bespitzelt, eingesperrt und in die BRD freigekauft wurde, unmittelbar nach der Wende freiwillig dahin zurückgeht, wo ihm so übel mitgespielt wurde. Doch als Lothar Rochau die Nachrichten vom Mauerfall hörte, kehrte er sofort nach Halle zurück, begann sich, nachdem er in der DDR wieder eingebürgert wurde, politisch zu engagieren.
"Manchmal habe ich das Gefühl, Blicke in mein von der Stasi dokumentiertes Leben verhalten sich wie eine Kettenreaktion: Sobald ich eine Seite aus den Akten anfasse, ergeben sich neue Querverbindungen und Fragen", schreibt Rochau in seiner im Mai im Mitteldeutschen Verlag erschienen Autobiografie "Marathon mit Mauern. Mein deutsch-deutsches Leben". Geschrieben hat er sie zusammen mit den Journalisten Ines und Peter Godazgar. Herausgegeben wird das Buch von der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker.
Die Geschichte des bekannten Regimekritikers ist eine Geschichte über Mut und Verrat in Ost und West, über Vergebung und offene Wunden. Und es ist eine Geschichte über die evangelische Kirche in Ost und West, die zeigt, dass auch christliche Institutionen in dieser Zeit nicht immer ein Rückhalt für ihre Angehörigen waren. Rochaus Biografie steht repräsentativ für die Erfahrung fast aller DDR-Oppositionellen.
Fast 100 Spitzel der Staatssicherheit waren auf ihn angesetzt, Erich Honecker und Erich Mielke persönlich beschäftigten sich mit Lothar Rochau. Denn Rochau hatte durch seine Arbeit bei der Kirche die offene Jugendarbeit ins Leben gerufen. Und das reichte aus, um harte staatliche Reaktionen herauszufordern, verhaftet und in aggressiv geführten quälenden Verhören gebrochen, in einem politischen Willkür-Prozess zu drei Jahren Haft verurteilt und schließlich aus der DDR geworfen zu werden.
2017 leistete die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland ein Bußwort, in dem sie öffentlich anerkannte, Schuld auf sich geladen zu haben. "Wir bitten Gott und die Menschen, die durch die Kirchen und ihre Mitarbeitenden geschädigt wurden, um Vergebung", heißt es in einer Erklärung des Landeskirchenrates. Fast zeitgleich mit Erscheinen von Rochaus Autobiografie hat der Landeskirchenrat nun ein Anerkennungsverfahren für eben jene auf den Weg gebracht, die zu DDR-Zeiten von der Kirche disziplinarisch belangt wurden.
Rochau, L. und Godazgar, I. u. P.: Marathon mit Mauern. Mein deutsch-deutsches Leben, Mitteldeutscher Verlag, 280 S., ISBN 978-3-96311-443-4; 18 Euro
Autor:Katja Schmidtke |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.