VIDEO - Zwischen Glaube und Glitzer
Ein Pfarrer als Drag-Queen
Der homosexuelle Frankfurter Gemeindepfarrer Nulf Schade-James kämpft seit den 1980er-Jahren für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Ab und zu verwandelt er sich in eine Drag-Queen. So auch bei Travestie-Gala in evangelischer Frankfurter Friedenskirchengemeinde.
Von Carina Dobra
So richtig wollen die langen, glitzernden Kunst-Wimpern nicht halten auf dem Augenlid des Frankfurter Gemeindepfarrers Nulf Schade-James. Und obwohl die Travestie-Gala im Keller der Friedenskirche im Gallus in knapp einer Stunde losgeht, bleibt der 64-Jährige tiefenentspannt.
Zwei Stunden braucht der schwule Pfarrer ungefähr, um sich in die Kunstfigur «Greta Gallus» zu verwandeln: Eine stark geschminkte Dame mit üppigem Busen, grasgrünem Glitzerkleid und bunter Locken-Haarpracht. Denn wenn Schade-James nicht auf der Kanzel predigt, tritt er gelegentlich als Travestie-Künstlerin auf.
«Als ich klein war, wollte ich genau zwei Sachen werden: Pfarrer und Schauspieler. Ich gehöre auf die Bühne!», erzählt der Theologe, während er seine Lippen mit dunklem Lipliner nachzieht und ein kleines Döschen mit Glitzer aus seinem rosa Beauty-Koffer fischt: «Ich sag immer: Jeder sollte ein bisschen Glitzer tragen.» Großzügig tupft er sich das Glitter unter die nachgezogenen Augenbrauen.
Bereits 1983 gründete der Hesse mit einem gleichgesinnten Kollegen das Duo «Sodom und Gomorrha». Seit dessen Auflösung ist er als «Greta Gallus, Freifrau von Sodom ohne Gomorrha» unterwegs.
«Eigentlich ist das hier das Büro der Gemeindepädagogin», erzählt Schade-James, der seit 1989 Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung ist. An der Wand hängt ein goldenes Kreuz, vor dem Bücherregal ist ein Kleiderständer geparkt mit bodenlangen Kleidern mit vielen Pailletten und Tüll.
2019 hatte die Frankfurter Gemeinde die Idee zu einer «Gala der Travestie» - damals als Erinnerung an den 50. Jahrestag des Aufstands gegen den Polizeieinsatz in der New Yorker Szenebar «Stonewall Inn». Er gilt als Beginn der queeren Bewegung. Ehrengast auf der ersten Gala war ein Urgestein der Travestie-Szene: Cristina aus Amsterdam. Der inzwischen verstorbenen Travestie-Künstlerin widmet Schade-James die diesjährige Show.
Pfarrer Nulf Schade-James ist bekannt für seinen unermüdlichen Kampf für die Rechte Homosexueller innerhalb der hessen-nassauischen Landeskirche. Im Herbst 2001 trug er mit einer emotionalen Rede vor der Synode dazu bei, dass das Gremium ein Jahr später mit großer Mehrheit die Segnung homosexueller Partnerschaften in der Kirche ermöglichte.
In seiner Gemeinde entschied der damalige Kirchenvorstand schon 1994, dass homosexuelle Paare in der Friedenskirche, etwas später auch in der damaligen Versöhnungskirche, heiraten durften. Seit 1983 war die Kirche außerdem Treffpunkt für die Gruppe «Homosexuelle und Kirche». Jedes Jahr trommelt Schade-James seine Anhängerinnen und Anhänger zum Christopher Street Day Frankfurt. Traditionell mit im
Gepäck: Die riesige Regenbogenfahne, mit der es durch die Stadt geht.
Die Gemeinde ist stolz auf ihren Pfarrer. «Unsere Gesellschaft ist bunt. Und die Kirche ist auch viel bunter, als viele Leute denken», betont etwa die Gemeindepädagogin für Kinder und Jugendliche, Fa-Rung Rath. Viele Menschen auch außerhalb des Gallus würden sich ganz bewusst für die Gemeinde in der Frankenallee entscheiden. Die Sache mit der Travestie-Show findet die 34-Jährige großartig: «Ich war früher Make-Up-Artist, deswegen ist das natürlich meine Welt!» Und: Die Mädels aus ihrer Jugendgruppe waren auch sofort angetan und helfen heute hinter der Theke aus - natürlich ebenfalls im Glitzer-Outfit.
Im Gemeindekeller erinnert heute Abend nicht viel an Kirche. Von der Decke hängen rote Herzen und eine Discokugel. Auf den Tischen liegen dunkelrote Samt-Deckchen mit Glitzerstaub. «Heutzutage darf man über alles reden. Und genau deswegen passt Travestie genau hier rein!», findet Brigitte aus dem Publikum, die sich einen pinkfarbenen Federschal über die Schultern drapiert hat.
«Es ist immer gut, wenn der Pfarrer die Menschen glücklich macht», sagt Nulf Schade-James. Besonders nach den Lockdowns freue er sich über lachende Gesichter. Travestie in der Kirche - vermutlich gefällt das nicht jedem. «Persönlich hat sich noch nie jemand bei mir beschwert. Das trauen sich die Leute gar nicht», ist der Pfarrer überzeugt und betont: «Wie viele schwule Männer und lesbische Frauen sind aus der Kirche ausgetreten, weil sie nicht gewollt waren?» Da müssen wir ganz viel dran arbeiten und Gutes leisten.« Wenig später trällert er als Greta den Schlager-Klassiker »Tulpen aus Amsterdam" von der Bühne und streut Glitzerpulver in die Menge.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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