Es muss noch etwas Anderes geben
Singles: Sie gehen gewollt oder ungewollt solo durch das Leben und sehnen sich doch nach Gemeinschaft. Astrid Eichler kennt aus eigenem Erleben die damit verbundenen Herausforderungen. Die Theologin leitet heute das Netzwerk »Solo & Co« für christliche Singles.
Harald Krille sprach mit ihr...
Frau Eichler, Sie haben ein Netzwerk für Singles gegründet. Wie kam es dazu?
Eichler: Ich würde nicht sagen, dass ich das gegründet habe, sonders es hat sich Schritt für Schritt entwickelt. Ich wurde 2006 von einem Verlag gebeten, ein Buch für christliche Singles zu schreiben. Und da ich mich mit dem Thema bereits länger beschäftigte, wurde ich »zufällig« nach Erscheinen des Buches als Referentin zu einem Wochenende für Singles eingeladen. Dort stellte ich das gerade erschienene Buch unter dem Titel »Es muss was Anderes geben – Lebensperspektiven für Singles« vor. Am Schluss rief ich dazu auf, mit mir gemeinsam dieses »Andere« zu suchen. Daraus entstand eine Spurgruppe, später ein Trägerkreis, ein Verein wurde gegründet und das heutige Netzwerk »Solo&Co« entstand.
Viele würden sagen, Singles suchen doch letztlich einen Partner. Was ist das Andere, das Sie suchen?
Eichler: Natürlich gibt es viele Singles, die sagen: Ich suche einen Partner, ich will heiraten. Aber wenn man schon ein paar Jahre auf Partnersuche ist und noch niemand gefunden hat, dann muss es, wie ich gern sage, doch auch noch etwas Anderes geben, als ein Leben lang auf dem Bahnsteig zu stehen und zu warten, ob der kommt, der mich glücklich macht. Oder mich aus Frust im Büro oder auch in der Gemeinde in die Arbeit zu stürzen.
Wenn Jesus in Johannes 10, Vers 10, sagt, »Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben«, dann heißt das auch für Singles: Die Fülle des Lebens ist nicht davon abhängig, in welchem Lebens- oder Beziehungsstand ich bin. Diese Fülle zu entdecken und sich dabei gegenseitig zu unterstützen und zu ermutigen, ist das Ziel unseres Netzwerkes.
Sie leben selbst als Single – worin sehen Sie die besonderen Herausforderungen des Single-Seins?
Eichler: Ich beobachte, dass das Leben vieler Singles sehr einseitig wird. Viele landen im »A-E-S-Syndrom«: Arbeiten, Essen, Schlafen. Sie stürzen sich dann von der einen Arbeit in der Berufstätigkeit gleich in die nächste Arbeit, vielleicht in Vereinen oder Kirchengemeinden. Nach ein paar Jahren sind sie ausgepowert, und unter Umständen wird dann der Fernseher zum einzigen Gesprächspartner. Wenn dann noch die eigenen Eltern älter und pflegebedürftig werden, spitzt sich das noch einmal zu: arbeiten, essen, schlafen und die Eltern pflegen.
Viele Singles kennen zudem einen regelrechten Sonntags-Nachmittags-Blues. Sie sind am Vormittag im Gottesdienst, haben viele fröhliche Leute getroffen, und dann gehen sie nach Hause und sind allein.
Eine Art »Schallmauer« ist bei vielen so um die 40. Bis dahin ist noch Aufbruch und Erwartung. Nach 40 sind bestimmte Träume ausgeträumt. Die Herausforderung besteht, diese Schwelle gut zu nehmen. Wo habe ich Menschen, mit denen ich darüber sprechen kann, dass der vielleicht größte Wunsch meines Lebens, eigene Kinder zu haben, sich wohl nicht erfüllt?
Das sind ein paar Beispiele für diese Herausforderungen.
Gibt es dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Eichler: Absolut! »Männer sind anders. Frauen auch« – wer dieses kleine Buch kennt, ist klar im Vorteil. Gerade beim Thema »ich sehne mich nach Gemeinschaft« sind Frauen die, die ja auch in der Ehe sagen: »Ach Schatz, setz dich doch zu mir und erzähle, wie war dein Tag?« Sicher sind nicht alle Frauen gleich, aber, etwas klischeehaft gesagt, leben Frauen vom Austausch, vom Reden, und das rund um eine »gestaltete Mitte«. Männer sagen eher, kommt, wir unternehmen etwas zusammen. Die Gemeinschaft entsteht im gemeinsamen Projekt, mit einem gemeinsamen Ziel.
Wie wirkt sich das in Ihrem Netzwerk aus?
Eichler: Wir sind in unserem Netzwerk deutlich mehr Frauen als Männer, wollen aber auch für Single-Männer ein guter Ort sein. Das müssen aber Männer selber entwickeln und gestalten, weil es dann anders aussehen wird, als wenn Frauen es gestalten. Bei unseren Wochenendtreffen sind wir allerdings immer zusammen. Weil ja viele Single-Frauen, wenn sie dann vielleicht auch noch in einem weiblich dominierten Beruf sind, die Begegnung mit Männern wünschen und als Bereicherung erfahren – und natürlich auch umgekehrt.
Ist ein solches Netzwerk dann nicht auch eine Art Partnerbörse?
Eichler: Wir sagen: Wenn sich Leute bei uns kennenlernen und heiraten –
wunderbar, wir kommen alle gern zur Hochzeit! Aber wir haben nicht den Fokus auf Partnervermittlung. Da gibt es andere Anbieter. Zum Beispiel die Beratungsorganisation »Team.F – Neues Leben für Familien« hat einen Arbeitszweig »Backstube Traumpartner«.
Das Problem ist nur, wenn jemand dann schon mehrmals in der »Backstube« war und immer noch keinen Traumpartner hat, dann sage ich: Es muss noch etwas Anderes geben.
Laut Statistik leben 41 Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland in Single-Haushalten. In den Kirchen ist man aber weithin nur oder zumindest mehr auf Familie orientiert.
Eichler: Das ist in der Tat eine zusätzliche Herausforderung für christliche Singles in Gemeinden. Ich finde es total gut und erstrebenswert, dass wir uns als Christen für Ehe und Familie starkmachen. Denn Ehe ist eine geniale Idee Gottes. Wir machen unsere Arbeit deshalb auch nicht vor dem Hintergrund, dass Ehe ein Auslaufmodell sei. »Seid fruchtbar und mehret euch« ist und bleibt der Schöpfungsauftrag Gottes.
Aber ich staune immer wieder, dass es besonders in »frommen« Gemeinden oft nicht deutlich wird, dass Jesus auch hier eine neue Lebensmöglichkeit gezeigt hat. Denn Jesus, als jüdischer Rabbi, war nicht verheiratet, hat also den Schöpfungsauftrag nicht erfüllt. Und für das Thema Familie ist er wirklich kaum zu gebrauchen. Man lese nur, wie er mit seiner eigenen Familie umgeht und sie wegschickt.
Und wenn wir in die Kirchengeschichte schauen: Europa wäre nicht zu dem geworden, was es ist, wenn es nicht die ganz, ganz vielen unverheirateten Menschen gegeben hätte. Menschen, die in klösterlichen Gemeinschaften das Land urbar machten, die Bildung brachten und Architektur und Kultur prägten. Den Singles sage ich gern: Das waren wir!
Grundsätzlich gilt: Seit Jesus ist ein erfülltes Leben nicht mehr an Ehe und Kinderzahl gebunden.
Letzte Frage: Gibt es so etwas wie die nervigsten Sätze, die ein Single nicht hören möchte?
Eichler: Oh ja. Zum Beispiel: Du bist doch so eine hübsche junge Frau, warum hast du noch keinen Mann? Oder: Du musst einfach nochmal richtig um einen Partner beten. Oder zu Männern: Es gibt so viele hübsche junge Frauen, nimm dir doch einfach mal eine. Als ginge es nur um Schönheit und als könnte ein Mann sich eine Frau einfach so nehmen. Hallo, wo leben wir denn. Und ganz besonders schlimm: Ach, wir wünschen uns doch so sehr Enkelkinder. Wenn einer 35-jährigen Frau, die vielleicht sowieso schon genug Druck verspürt, das noch von den eigenen Eltern gesagt wird …
Wir brauchen da einfach mehr Sensibilität. Vor allem ist es wichtig, die Lebenssituation von Singles erst mal achtsam wahrzunehmen.
Zur Person
Astrid Eichler, Jahrgang 1958, wuchs in Mecklenburg-Vorpommern auf. Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester studierte sie auf dem zweiten Bildungsweg evangelische Theologie am Berliner Paulinum. Als Pfarrerin betreute sie von 1988 bis 2004 mehrere Landgemeinden in der brandenburgischen Region Prignitz, danach war sie als Gefängnisseelsorgerin in Berlin tätig.
Seit 2011 ist sie Bundesreferentin des 2006 gegründeten Netzwerkes »Es muss was Anderes geben«, dem heutigen »Solo&Co«. Eichler gehört seit 2012 zudem zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz.
Sie ist mütterlicherseits eine Nachfahrin der jüngsten Tochter Margarethe des Reformators Martin Luther.
Neben ihrer Arbeit für das Netzwerk ist sie publizistisch tätig.
Das Netzwerk
»Solo&Co« versteht sich als eine Gemeinschaft von Menschen, die freiwillig oder der Not gehorchend solo durch das Leben gehen. In der Selbstbeschreibung heißt es unter anderem: »Wir sind Christen. Und deshalb nehmen wir Jesus beim Wort: ›Ich bin gekommen, um ihnen Leben zu bringen – Leben in ganzer Fülle!‹ (Johannes 10,10). Diese Zusage hat er nicht an einen bestimmten Lebensstand oder Beziehungsstatus gebunden. (…) Als Einzelkämpfer Beruf und Gemeinde, familiärer Fürsorge und Haushalt gerecht zu werden, ist
anstrengend. Wir sind Frauen und Männer auf der Suche nach Zugehörigkeit
und verbindlichem Miteinander. Wir wollen miteinander lernen, Gott mehr zu vertrauen und ihm die Führung zu übergeben.«
Tipp: Eine Möglichkeit das Netzwerk kennenzulernen, besteht bei einem Themenwochende für Singles unter dem Motto »Erstens kommt es
anders …« vom 29. bis 31. März im fränkischen Bad Alexandersbad.
Weitere Infos und Anmeldung im Internet:
Autor:Online-Redaktion |
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