Nachgefragt
Zurück ins Leben: "Es ist ein Geschenk!"
„Ich wollte nicht mehr leben“, so Andreas Weigel im Frühjahr, als sein Leben wegen einer Corona-Erkrankung am seidenen Faden hing. Das Gespräch mit ihm in der Kirchenzeitung, nachdem er sich wieder ins Leben zurück gekämpft hatte, bewegte viele Menschen. Willi Wild hat ihn noch einmal getroffen, um mit ihm über die Folgen zu sprechen.
Wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen?
Andreas Weigel: Gesundheitlich fühle ich mich gut. Mit der Luft habe ich noch etwas zu kämpfen. Die Lunge regeneriert sich allmählich. Ich bin glücklich und dankbar, dass bislang keine bleibende Schädigung erkennbar ist. Es ist ein Geschenk!
Unser erstes Gespräch führten wir in der Reha-Klinik, am Tag nach dem Tod Ihres Vaters. Er ist im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus gestorben. Wie sind Sie mit der seelischen Belastung umgegangen?
Einen Monat nach seinem Tod konnten wir im engsten Familienkreis mit maximal 20 Personen meinen Vater beisetzen. Die ganze Situation war schon fast unwürdig. Mein Vater hat sich eine große Beerdigung gewünscht und dafür extra in seinem Weinkeller Flaschen für diesen Anlass gelagert. Aber unter den Corona-Auflagen war all das nicht möglich.
Es hat vier Monate gedauert, bis wir endlich einen angemessenen Gedenkgottesdienst im Freien feiern konnten. Es war eine große Erleichterung, dass wir damit die Möglichkeit hatten, in einem würdigen Rahmen Abschied zu nehmen. Das war einfach ein Stück aufgeschobener Trauerarbeit, die wir als Familie an diesem Tag leisten konnten. Der Trost und Zuspruch der vielen Trauergäste, das hat nach all der Zeit sehr gut getan.
Sie haben selbst die Nähe des Todes erlebt. Wie hat Sie das verändert?
Es relativiert sich vieles im Angesicht des Todes. Ich glaube, ich bin gelassener geworden. Der Tod begegnet mir in der letzten Zeit häufig. Gute Bekannte sind kurz hintereinander verstorben. Aber es ist nicht so, dass ich ständig an den Tod denke. Nach all dem, was geschehen ist, will ich leben und jeden Tag als ein Geschenk begreifen.
Es gibt viele Berichte über Nahtod-Erfahrungen. Was haben Sie gesehen und erlebt?
Ich habe mir vorgenommen, über diese Erlebnisse nicht zu sprechen. Es war unbeschreiblich, so dass ich es auch kaum in Worte fassen kann. Ich habe erfahren, dass der Übergang vom Leben zum Tod nicht einfach ist. Das Leben läuft noch einmal an einem vorbei, und ich wurde Zeuge eines Kampfes, an dessen Ende ist ein Licht.
Von Ihnen stammt der Satz: „Die Dauer allein gibt dem Leben weder Sinn noch Ziel“. Was dann?
Ich beziehe mich dabei auf den Psalm 93: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.“ Die Länge ist nicht entscheidend, sondern dass das Leben erfüllt ist. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, nicht in den Tag hinein zu leben. Eben bewusster zu leben.
Hat sich durch die Erkrankung Ihre Persönlichkeit verändert?
Nein. Aber ich habe festgestellt, dass die Kräfte begrenzt sind, und das macht mich vielleicht etwas barmherziger im Umgang mit anderen.
Seelsorgerliche Begleitung war Ihnen wichtig. Warum?
Die Gespräche mit Seelsorgern haben mir Orientierung gegeben. Gebete und Segensworte haben mir einfach gut getan und mich zur Ruhe kommen lassen. Ich brauche Rituale, ein Gerüst, dass Halt gibt, wie vorformulierte Gebete, etwa das Vaterunser und Psalmverse. Das hilft mir vor allem in schweren Situationen.
Wie hat sich Ihre Sicht auf Gott und den Glauben durch die Krankheit verändert?
Ich habe als evangelisch-lutherischer Christ eine pragmatische Haltung zum Glauben, die sich nicht verändert hat.
Autor:Online-Redaktion |
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