Kurt Marti
Mit nüchternem Blick auf die Ewigkeit
Glücklich ihr Atheisten! / ihr habt es leichter», heißt es in einem Gedicht von Kurt Marti, einem der bedeutendsten Lyriker der Schweiz. Der Zweifel war für den reformierten Pfarrer «immer ein Stimulans des Glaubens. Ein Glaube ohne Zweifel ist mir verdächtig», sagte er der «Berner Zeitung» in seinem letzten Interview.
Am 31. Januar wäre der Grenzgänger zwischen Literatur und Religion 100 Jahre alt geworden.
Marti galt seit den 1950er-Jahren als analytischer Beobachter des politischen Klimas seiner Heimat. Bekanntgeworden ist er durch seine Gesellschaftskritik, die er in aggressiven Sprachwitz verpackte.
Der 1921 in Bern geborene Sohn eines Notars verfasste seit seinem ersten Band «Boulevard Bikini» (1958) Hunderte Gedichte, viele in Berner Mundart. Sein Spektrum reichte von Naturlyrik zu konkreter Poesie, war sprachspielerisch und tiefsinnig. Hinzu kamen Essays, Kurzgeschichten und ein Roman.
Auf die Frage, ob er sich mehr als Theologe oder Schriftsteller fühle, sagte Marti einmal: «In mir ist beides eng beieinander.» Er wollte jedoch nicht in die Schublade «christlicher Dichter» gesteckt werden, geistliche Lyrik schrieb er nie.
Zur Theologie kam er nach eigenen Worten wie «die Jungfrau zum Kind». Unter seinen Vorfahren habe es «Bauern, Gemeindeschreiber, Kaufleute, Ärzte, Handwerker, ab und zu auch Tunichtgute und Bankrotteure gegeben, nie jedoch einen Pfarrer.» Von der Theologie versprach er sich Einblicke in die großen Lebensrätsel. Insgeheim, bekannte er, habe er sich sogar so «etwas wie Erleuchtung» erhofft: «Erleuchtung worüber? Über alles! Nicht zuletzt auch über sich selbst.»
Trotz zu geringen Brustumfangs und einer «bedenklichen Sehschwäche des rechten Auges» sei er in den ersten Januartagen 1940 als diensttauglich für die Schweizer Infanterie befunden worden, erinnerte sich Marti in seiner Autobiografie «Ein Topf voll Zeit» (Nagel & Kimche). Die Folgen des Krieges erlebte er in den 1940er-Jahren im Pariser Büro der ökumenischen Kriegsgefangenenseelsorge.
Der Vater von vier Kindern wetterte früh gegen den Kalten Krieg sowie antiliberale Einstellungen in seiner militärisch neutralen Heimat. Er engagierte sich bald gegen den Vietnamkrieg, agitierte gegen Atomwaffen und Atom-energie, warnte vor der Zerstörung der Alpen und prangerte das Elend in Entwicklungsländern an.
Das alles verhalf ihm in seinem eher konservativen Umfeld zuweilen zum Ruf, er sei Kommunist oder christlicher Marxist. Nicht zuletzt aus diesen Gründen scheiterte wohl in den 1970er-Jahren eine Berufung Martis auf einen theologischen Lehrstuhl für Predigtlehre in seiner Heimatstadt Bern.
Als Seelsorger und Autor vertrat der Schüler des großen Schweizer Theologen Karl Barth (1886–1968) ein zeitgemäßes aufgeklärtes Christentum ohne falsche Tröstungen. Die christliche Religion dürfe nicht in der Institution Kirche erstarren. Marti: «Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde.» Als Grundton durchzieht sein Werk die Einsicht in die Ohnmacht des Menschen angesichts der zerstörerischen Tendenzen seiner Zeit. Nach einem langen Berufsleben als Pfarrer, dem Verlust seiner Frau Hanni Marti-Morgenthaler im Jahr 2007 und dem Erreichen eines biblischen Alters hatte Marti in seinen letzten Lebensjahren einen nüchternen Blick auf die Ewigkeit entwickelt.
In einem von ihm gedichteten Kirchenlied, das seinen Weg ins Evangelische Gesangbuch fand, hofft er auf eine «Welt ohne Leid, / wo Gewalttat und Elend besiegt wird.» Er komme sich vor wie ein «Überzähliger, wie ein Überbleibsel aus dem letzten Jahrhundert» sagte er der «Berner Zeitung» wenige Jahre vor seinem Tod. Am 11. Februar 2017 starb Kurt Marti im Alter von 96 Jahren in seiner Geburts- und Heimatstadt Bern.
Stephan Cezanne (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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