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Die Sprache in der Pandemie
Von Christoph Kuhn
Alltagsmaske, Balkonkonzert, Eindämmungsverordnung, Geisterspiel, Herdenimmunität, Hochrisikogruppe, Infektionskette, Rettungsplan, Rückholflug. Solche Begriffe werden irgendwann nicht mehr unbedingt in Verbindung mit Covid-19 gebracht.
Aber überall haben Menschen ihr Englisch verbessert. Übersetzt man Hotspot mit Heiße Stelle oder besser mit Brennpunkt? Lockdown (nicht zu verwechseln mit Lockerung!) mit Abriegelung oder Ausgangssperre? Shutdown mit Außerbetriebnahme oder Stilllegung? Tracing mit Ablaufverfolgung oder Überwachung?
Wer das Wort Heimarbeit zu "old school" findet, spricht von Homeoffice, obwohl es die Bezeichnung fürs britische Innenministerium ist. Die nicht-pharmazeutische Maßnahme Social distancing sollte korrekt physical distancing heißen: physischer, räumlicher Abstand, nicht sozialer – obwohl es nicht selten dazu kommt.
Auch naturwissenschaftlich haben wir uns weitergebildet: Der Aerosole wegen bedecken wir Mund und Nase. Aber wie stellen wir uns das Virus vor? Wir hören: Es schlägt zu, wird auf den Prüfstand gestellt und unter die Lupe genommen; besser wäre Mikroskop. Doch unter der Lupe ist ständig etwas, auch Großes, Dingliches und Abstraktes, z. B. Kindergärten oder der Buchmarkt.
Nun wurden aus Lupen Brenngläser, unter denen sich in der Krise Probleme zeigen und Entwicklungen verdichten. Physikalisch sind zwar Lupe und Brennglas das gleiche, aber im Brennpunkt findet Zerstörung statt.
Bildhafte Sprache ist Glücksache. Wir üben uns momentan auch in Ambiguitätstoleranz; es hilft noch nach Corona, mit der Mehrdeutigkeit von Wörtern und Werten klarzukommen.
Der Autor ist Schriftsteller in Halle.
Autor:Online-Redaktion |
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