Schoah und Schule
»Ich bin gegen digitale Gespenster«
Der jüdische Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik wird am 4. November 75 Jahre alt. Im Gespräch mit Leticia Witte blickt er auf die schulische Vermittlung von Wissen über jüdisches Leben und die Diskussion über Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten.
Bildung gilt als gutes Mittel gegen Antisemitismus. Aber es gibt auch gut Gebildete, die etwas gegen Juden haben …
Micha Brumlik: Die Frage ist, wie man den Begriff der Bildung fasst. Wenn es nur um Belesenheit geht, reicht das zweifelsohne nicht. Es kommt auch darauf an, dass das, was da gelesen und rezipiert wird, durch Zeitzeugengespräche – lange wird das nicht mehr gehen – ergänzt wird, um angemessen moralisch aufgenommen und verstanden zu werden.
Sie sind für Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten. Wie sollten die aussehen?
Ohne Vor- und Nachbereitung sind solche Besuche sinnlos. Sie gehen sonst an den Schülerinnen und Schülern vorbei. Die Besuche müssen gründlich ein halbes Jahr lang vorbereitet und ordentlich, etwa im Geschichtsunterricht, nachbereitet werden.
Wenn wir auf die Gedenkstätten schauen: Auf welche Weise erreichen sie Jugendliche besonders gut?
Was mich bisher am meisten überzeugt hat, ist, wenn es gelingt, Jugendlichen die Lebensgeschichten von Insassen der Lager nahezubringen, sodass sie diese nachvollziehen können.
Wir sprachen bereits über Zeitzeugen, die es bald nicht mehr geben wird. Sie selbst lehnen die sogenannte Digitalisierung des Gedächtnisses ab – also wenn zum Beispiel Schoah-Überlebende als Hologramme auftreten.
Ich bin entschieden dagegen, dass gleichsam digitale Gespenster als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Geschichte ist Geschichte und man kann das Geschehene nicht elektronisch wieder auferstehen lassen. Wenn es um mediale Vermittlung geht, dann kann ich mir Filme wie Claude Lanzmanns "Shoah", in dem zahlreiche Überlebende zu Wort kommen, sehr viel besser vorstellen.
Es gibt Forderungen, dass in den Schulen sehr viel stärker als jetzt jüdisches Leben vorgestellt werden sollte.
Ich finde das sinnvoll. Es gibt ja Angebote jüdischerseits, dass Kinder und Jugendliche aus jüdischen Familien oder Erwachsene in Schulen eingeladen werden, um zu vermitteln, dass diese kleine Minderheit "ganz normal" ist wie andere Leute auch.
Wie könnte denn jenseits solcher Projekte jüdisches Leben durch den Unterrichtsstoff vermittelt werden?
Das wäre eine Lehreinheit, in der über Leben und Wirken von Jüdinnen und Juden in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik und in der DDR informiert wird. Dass sich Kinder und Jugendliche vertraut damit machen, was in Synagogen geschieht. Sie sollten ein realistisches Bild davon erhalten, wie viele Jüdinnen und Juden unter welchen Umständen heute in Deutschland leben.
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
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