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Zum 95. Geburtstag von Werner Leich
"Immer öfter ging mein Herz nach Gotha"

Altbischof Werner Leich, 2017 beim großen Interview für "Glaube + Heimat", kurz vor seinem 90. Geburtstag in Eisenach | Foto: Norman Meißner
  • Altbischof Werner Leich, 2017 beim großen Interview für "Glaube + Heimat", kurz vor seinem 90. Geburtstag in Eisenach
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Ich sehe heute noch Dorothea Gerlach, die resolute und bekannte Chefin der Fleischerei Groll am Busbahnhof in Gotha, wo die Knobländer Bockwürste so wunderbar schmeckten, mit ihrem Citroën durchs Dorf donnern. Es war damals die einzige französische Automarke in Wechmar. An verschiedenen Häusern hielt sie an und lud die "Wechmarschen" dazu ein, nächste Woche in die Kirche zu kommen.

Von Knut Kreuch

Das ganze Dorf liebte diese Kirche mit dem spitzen hohen Kirchturm, doch Kirchgänger, das waren sie nicht, um die vielen hundert Plätze zu füllen. Da half auch nicht, dass 1971 eine der ersten Pastorinnen Thüringens in Wechmar ihren Dienst antrat.

Thea, wie das ganze Dorf die Fleischerei-Chefin in Kurzform nannte, wollte verhindern, dass nächste Woche die Kirche leer blieb, und so trommelte sie das ganze Dorf zusammen. Und keiner, der damals dabei war, bereute diesen Abend, denn vor den sagenhaften Ölgemälden von Paul Emil Jacobs saß ein Mann, der die Menschen wortwörtlich faszinierte und dabei noch zur Gitarre griff. Sie ahnen: Ich spreche vom damaligen Thüringer Landesbischof Werner Leich.

Erinnerung: Weltpolitik in Wechmar

Noch nie war Wechmar wie an diesem Abend in die große Weltpolitik eingebunden. Da erzählte ein Bischof von seinem Amt, von seinen Verhandlungen mit Honecker, von den Schwierigkeiten bei der Luther-Ehrung der DDR. Alles schien in den Zentral-organen so harmonisch, doch hinter den Kulissen tobte der Kampf, denn Leich war nicht bereit, Martin Luther auf dem Gabentisch der SED zu opfern. Die DDR-Oberen wollten den Reformator zum Vorkämpfer der Arbeiterklasse machen und der Geschichte eine neue Linksdrehung geben.

Der Landesbischof sprach offen und rüttelte an den Glaubensfesten der Wechmarschen. Er erzählte, wie Menschen begannen sich loszusagen von staatlichen Restriktionen und wie wichtig es ist, „Schwerter zu Pflugscharen“ zu biegen. Da war noch lange kein Weg von Glasnost und Perestroika erkennbar und kein Gorbatschow in Sicht. In Sankt Viti zu Wechmar sprach der sympathische Theologe davon, dass sich viel bewegt im Land, von dem in Wechmar keiner was bemerkte, und dass die christliche Friedensbewegung der DDR ganz vorsichtig für erste Brüche in Mauer und Stacheldraht Sorge trägt.

Lange bevor die Mauer fiel, war hier ein Mann am Wirken, der mit Worten und einem klaren Standpunkt für Risse in Mauern sorgte und Menschen zu neuem Denken forderte.

Seit diesem Abend schätze ich jenen Mann, der still hinter den Kulissen verhandelte, so manchem im Osten den Weg in die Freiheit ebnete, der nicht zuließ, dass Honecker im Karl-Marx-Jahr 1983 den 500. Geburtstag Martin Luthers zur Geburtsstunde der revolutionären Arbeiterbewegung stilisierte, und der gegenüber dem Westen im vereinten Deutschland früh auf die Sorgen und Ängste der Menschen in dem ihm einst anvertrauten und nun untergegangenen Land aufmerksam machte. Als erster Landesbischof Thüringens nach der Wende hat er dieses Land geprägt und ganz besonders auch Gotha, jene Stadt, über die er in seiner beeindruckenden Biografie „Du aber bleibst – im Wechsel der Horizonte“ schlicht und einfach formulierte: „Immer öfter ging mein Herz nach Gotha“, denn hier fand er mit seiner Frau Trautel Sickert das größte Glück seines Lebens. Und heute weiß ich, dass Trautel die Freundin aus Kindertagen von Thea war, und so ist klar, warum sich die Fleischerei-Chefin so für den Kirchenabend engagierte.

Am 31. Januar 2022 feiert Werner Leich in Tambach-Dietharz seinen 95. Geburtstag, wozu ich ihm ganz persönlich gratulieren möchte in der großen Hoffnung, dass seine Gesundheit ihm noch viele schöne Lebensmomente schenken möge. Was ich heute schon weiß: Sein Wort, das bleibt!

Der Autor ist Oberbürgermeister von Gotha, gebürtiger Wechmarer und Mitglied der Kirchengemeinde. 

Autor:

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