Tag der Autobahnkirchen
Beten neben der Überholspur
Exter: An der A2 steht die älteste evangelische Autobahnkirche. Hier drinnen ist es still. Wenn man das alte Gotteshaus betritt, sind tosender
Lärm und Zeitdruck für einen Moment weit weg.
Schnellen Schrittes geht der Mann zu dem Gestell mit den Kerzen, zündet ein Licht an, setzt sich in die hinterste Kirchenbank. Und hält inne. Ein paar Augenblicke später steht er wieder auf, verlässt die Autobahnkirche im ostwestfälischen Vlotho-Exter ebenso schnell wie er gekommen ist. «Besucher bleiben hier selten länger als zehn Minuten», sagt der Gemeindepfarrer von Exter, Ralf Steiner. Sie suchten einen Moment der Besinnung, bevor sie wieder in das hektische Getriebe auf der Straße eintauchten. Die 1665 errichtete Dorfkirche von Exter wurde vor 60 Jahren zur ersten evangelischen Autobahnkirche bestimmt. Nur eine deutsche Autobahnkirche ist älter: Die katholische «Maria, Schutz der Reisenden» in Adelsried bei Augsburg an der A8 wurde 1958 eingeweiht. Doch die Idee stamme eigentlich aus Exter, so erzählt es Pastor Steiner: Schon Anfang der 1950er-Jahre habe sein Amtsvorgänger Wilhelm Gröne vorgehabt, die damals von der Autobahn weithin sichtbare Kirche in der Dunkelheit beleuchten und Wegweiser an der Schnellstraße aufstellen zu lassen. 1959 wurde Exter dann von der westfälischen Landeskirche als «evangelisches Gegenstück» zum katholischen Adelsried auserkoren und an Christi Himmelfahrt ihrer zusätzlichen Bestimmung als Autobahnkirche gewidmet.
Den heutigen Besuchern sei die konfessionelle Ausrichtung einer Autobahnkirche nicht wichtig, sagt Birgit Krause von der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen mit Sitz in Kassel. Die Akademie sorgt seit den 1990er-Jahren für die Vernetzung der Kirchen und veranstaltet deren jährliche ökumenische Konferenz. Und auch Konfessionslose finden den Weg, so wie Ulla, die auf dem Weg von Berlin ins Rheinland den «Rastplatz für Körper, Seele und Geist» angesteuert hat, wie sie ins Gästebuch schrieb: «Wir kommen immer gerne hierher, auch als Nicht-Gläubige.»
Wie auch in den anderen Kirchen an den Autobahnen gebe es in Exter viele «Stammgäste», berichtet Ralf Steiner. Im Gegensatz zu den regulären Sonntagsgottesdiensten sei in den Autobahnkirchen über die Jahrzehnte die Zahl der Besucher stetig gewachsen. «Das ist auch nicht verwunderlich», so der Pastor, «die Menschen sind ja immer mobiler geworden und halten sich weniger in ihren Ortsgemeinden auf.»
Hintergrund
Autobahnkirchen sind eine deutsche Erfindung – in anderen Ländern sind sie weitgehend unbekannt. 1958 wurde an der A8 die erste katholische Autobahnkirche erbaut. Ein Jahr später entstand die erste evangelische Autobahnkirche an der A2. Inzwischen gibt es 44 Autobahnkirchen, davon sind 19 evangelisch, acht katholisch und 17 ökumenisch.
Orte der Ruhe entlang von Reiserouten haben eine lange Geschichte. Für Wanderer und Pilger gab es bereits im Mittelalter Kapellen und Kreuze am Wegesrand. In dieser Tradition stehen die Autobahnkirchen.
Alljährlich wird am «Tag der Autobahnkirchen» zu Gottesdiensten und Andachten mit einem Reisesegen eingeladen. Am 7. Juli überträgt das ZDF den Fernsehgottesdienst live aus der Autobahnkirche in Vlotho-Exter.
Bei der jüngsten Autobahnkirchenkonferenz habe man eine jährliche Besucherzahl von bundesweit etwa 1,1 Millionen Menschen errechnet, sagt Birgit Krause. Pastor Steiner empfindet es trotz des Mehraufwands für die Gemeinde als «Segen», dass die kleine Kirche durch ihre Zusatzaufgabe weit über Ostwestfalen hinaus bekannt ist: «An sieben Tagen der Woche herrscht hier geistliches Leben.» Die Besucher spürten, dass hier über Jahrhunderte Menschen gebetet hätten, sagt er. Und sie schätzten, dass die Autobahnkirche zugleich eine lebendige Gemeindekirche sei.
Blickfang im weiß getünchten Kirchenschiff ist der Altarbogen mit einer Inschrift aus dem Matthäusevangelium (Mt 11,28): «Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.» Dahinter grüßt in dem farbigen Rundfenster ein freundlicher Christus mit blauen Augen. Ein Taufengel «schwebt» unter der Decke – die Figur spreche viele Besucher als Symbol für den Schutz Gottes besonders an, sagt Steiner.
Besucher bitten in der Kirche oft um Schutz vor den Gefahren des Straßenverkehrs, wie aus vielen Einträgen im Anliegenbuch hervorgeht. «Danke Herr für die unfallfreien Fahrten, und dass mich mein neues Auto auch weiterhin gut begleitet und mich gesund ankommen lässt», schreibt ein Fahrer. Andere Gäste vertrauen Gott ihre Sorge um liebe Menschen an: «Bitte helfe meiner Tochter, wieder gesund zu werden. Und gib uns, der Familie, die Kraft, die wir so dringend brauchen.» Die Gemeinde lese regelmäßig die Anliegen der Besucher und nehme sie bei den Gottesdiensten in die Fürbitte auf, versichert Ralf Steiner. Das werde auch im Fernsehgottesdienst zum Tag der Autobahnkirchen am 7. Juli so sein. Am gleichen Tag laden auch die meisten anderen Kirchen und Kapellen an den Schnellstraßen die Vorbeikommenden zu einem Reisesegen ein.
Thomas Krüger (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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