Ausdruck politischen Versagens
Tafel-Debatte: Bündnis der Sozialverbände beklagt verfehlte Sozialpolitik
Vor dem Hintergrund der Debatte um die Essener Tafel macht ein Bündnis aus Sozialverbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen die Politik für drohende neue Verteilungskämpfe verantwortlich. »Dass Menschen, egal welcher Herkunft, überhaupt die Leistungen der Tafeln in Anspruch nehmen müssen, ist Ausdruck politischen Versagens in diesem reichen Land«, heißt es in einer Erklärung des Bündnisses, dem mehr als 30 Organisationen angehören. Arme Menschen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es sei ein Skandal, dass die politisch Verantwortlichen das seit Jahren bestehende Armutsproblem verharmlosten. »Damit drohen neue Verteilungskämpfe«, heißt es in der Erklärung.
Die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Eschen, sagte, nicht die Flüchtlinge hätten Probleme verursacht, sondern eine verfehlte Sozialpolitik sei dafür verantwortlich. »Die Menschen werden schon seit Jahren zu den Tafeln getrieben«, sagte die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg. Die Tafeln seien bereits vor der Fluchtbewegung zu »Ausputzern« geworden. Flüchtlinge würden zu Sündenböcken gemacht
für Missstände, die es bereits ohne sie gegeben habe, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, dessen Organisation auch Teil des Bündnisses ist.
Erhöhung der Regelsätze gefordert
Die Organisationen erneuern in ihrer Erklärung die Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze in der Altersgrundsicherung, für Hartz-IV-Empfänger und der Leistungen für Asylbewerber, die unter denen der Sozialhilfe liegen. »Die Sicherung des Existenzminimums ist Aufgabe des Sozialstaates und nicht privater Initiativen und ehrenamtlichen Engagements«, sagte der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, Ulrich Schneider. Er rechnete vor, im Hartz-IV-Regelsatz seien für einen Single pro Tag 4,77 Euro für Ernährung vorgesehen, für größere Kinder 3,93 Euro und für Kinder im Vorschulalter 2,77 Euro. Damit seien die Tafeln kein Zusatz mehr, sondern stellten das Existenzminimum sicher. Schneider kritisierte, der Koalitionsvertrag greife das Thema Armut nicht genügend auf. Das Bündnis werde weiter »Druck aufbauen«, kündigte er an.
Der Direktor der Berliner Stadtmission, Joachim Lenz, sieht eine zunehmende Konkurrenz unter Obdachlosen und Bedürftigen in der Hauptstadt. »Wir beobachten, dass das Konfliktpotenzial insgesamt steigt«, sagte Lenz der «tageszeitung». So habe es vor einigen Monaten in der Bahnhofsmission am Zoo viele Prügeleien mit bis zu 20 Polizeieinsätzen in einer Woche gegeben. »Da haben wir den Laden für mehrere Tage geschlossen«, sagte der evangelische Theologe. »Das Essen wurde nur noch durch das Fenster ausgeteilt. Ähnliches hören wir auch von anderen Betreibern.«
»Für uns als Betreiber ist völlig klar, dass wir sofort deeskalieren. Für uns haben alle die gleichen Ansprüche«, so Lenz. »Wenn sich Leute, denen es eh schlechtgeht, noch mal zurückgesetzt fühlen, kocht die Wut richtig hoch.« Der Stadtmissionsdirektor zeigte sich zudem überzeugt, dass die Hilfsangebote in Berlin weitere Bedürftige anlocken. »Wir haben Obdachlose in unseren Einrichtungen aus Polen und Lettland, die sagen: Wir wollen nicht dorthin zurück, da hilft uns ja niemand, hier aber schon.« Deshalb müsse dies als europäisches Problem begriffen werden, forderte Lenz. (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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