Du siehst mich
Kommentar von Christina Aus der Au
Das ist die Losung des Kirchentags aus 1. Mose 16, Vers 13. Hagar ist eine Magd, die vor ihrer Herrin flieht, von der sie schlecht behandelt wird. Auf der Flucht, in der Wüste, begegnet sie zum ersten Mal jemandem, der sie wirklich ansieht. Ein Engel spricht zu ihr: »Du, Hagar, wo kommst du her und wo gehst du hin?« Man könnte denken, Gott sieht sowieso alles, was muss er noch fragen? Aber er lässt Hagar sich selbst erklären, selber sagen, wie es für sie ist. Der Engel hört zu – aber er greift nicht ein. Gott verändert nichts. Nichts an den Machtverhältnissen, nichts an den Unterdrückungsstrukturen, nichts an der Welt. Und doch hat sich alles geändert. Hagar ist Gott begegnet, der uns ansieht. Der mittendrin ist in dieser Welt mit seinem Geist, seiner Liebe, seiner Gegenwart. Das macht den ganzen Unterschied aus. Er ist da. Hagar kehrt sogar in das Haus zurück, aus dem sie geflohen ist. Doch sie geht zurück in der Gewissheit, dass sie zählt. Sie hat ein Ansehen. Vor Gott und deswegen auch vor den Menschen.
Hier kommen wir ins Spiel. Wir, die wir geborgen sind, weil Gott uns ansieht. Wir können diesen Blick Gottes weitergeben, können Menschen ansehen und ihnen damit ein Ansehen geben. Wenn ich dich wirklich ansehe, mir von dir sagen lasse, wer du bist, wovor du Angst hast, wonach du dich sehnst, dann lerne ich anders zu sehen als vorher. Das verändert die Welt.
Es beginnt mit dem Gott, der mich sieht. Mit den Menschen, die gesehen werden und die ihrerseits sehen lernen, geht es weiter. Gott sieht alles. Aber nicht so, dass er nicht mehr zuhört. Er lässt den Menschen sich selbst erklären. Er hört aufmerksam zu. Ohne Ansehen der Person. Du, Gott, siehst mich. Und so will auch ich den anderen sehen.
Die Autorin ist Kirchentagspräsidentin
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