Systemrelevantes Lebensmittel
Was im Baumarkt geht ...
Geht’s noch? Kleinere Läden öffnen wieder, doch das Gottesdienstverbot bleibt bis mindestens 2. Mai bestehen. Die Sehnsucht nach geistlicher Gemeinschaft scheint groß.
Schon die fünfte Woche Ausnahmezustand. Ich denke an Olaf. Olaf ist mein Friseur. Ich wüsste gern, wie es ihm geht. Jetzt, wo er Kurzarbeitergeld bekommt. Die Hälfte seines eh schon niedrigen Einkommens. Auch das Trinkgeld fehlt. Leider habe ich keine private Telefonnummer, sonst hätte ich ihn angerufen. Der Friseur-salon ist geschlossen. Anrufbeantworter. Früher haben wir uns öfter am Sonnabend Vormittag beim Einkaufen getroffen und ein Schwätzchen gehalten. Ja, früher.
Im Gegensatz zu Olaf spüre ich die Einschnitte nur mittelbar. Noch kann der Verlag jeden Monat mein Gehalt überweisen und ich darf arbeiten, wenn auch zu Hause und nicht im Büro. Ich ahne, wie es Solo-Selbstständigen gehen muss, die von heute auf morgen ohne Einkünfte sind. Unsere Nachbarin ist Opernsängerin. Der Plan für ihre Engagements stand, bis zum Jahresende. Alle Vorbereitung, alle Proben umsonst. Jetzt sitzt sie im neu erstandenen Eigenheim und weiß nicht, wie sie den Kredit bedienen soll, wenn die Ersparnisse aufgebraucht sind. Aber sie will nicht klagen, sagt sie. Manchmal, wenn das Fenster geöffnet ist, höre ich sie singen. Wunderschön!
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber während ich so darüber nachdenke, mit welchen Sorgen sich Menschen in meinem Lebensumfeld herumschlagen müssen, rückt die Frage nach der Kirchenöffnung für Gottesdienste in den Hintergrund. Ja, ich hätte mir mehr Nachdruck seitens der Kirchenleitungen gewünscht, dass man Gottesdienstfeiern und Seelsorge als systemrelevant anmahnt. Und ja, mit etwas Fantasie wären auch hier Abstandsvarianten denkbar. Was im Baumarkt geht, lässt sich auch im Gotteshaus umsetzen. Ein Gottesdienst ist schließlich kein Fußballspiel, sondern Lebensmittel.
Aber ich bin mir auch bewusst, dass die existenzielle Herausforderung für viele Menschen erdrückend ist. Sie brauchen Beistand und Unterstützung. Beides wird auf so vielfältige Weise derzeit geleistet, als praktischer Gottesdienst. Jeden Tag erreichen uns in der Redaktion zahlreiche Beispiele von organisierter Nachbarschaftshilfe, von Telefondiensten oder Nähaktionen für Schutzmasken. Die sozialen Medien verdienen in diesen Tagen ihren Namen zu Recht. Erfahrungen werden darüber ausgetauscht, Tipps weitergegeben, oder einfach nur ein mutmachender Spruch, die Tageslosung geteilt.
Apropos Losungen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht, aber ich habe den Eindruck, dass gerade in dieser Krise die Verse oft so passend sind, als habe man sie in Herrnhut bei der Brüdergemeine extra dafür ausgewählt. Ich nehme mir im Moment die Zeit, mich am Morgen auch mit dem angegebenen Bibeltext zu beschäftigen. Diese Zeit der Stille schließe ich ab mit Psalm 121 – ein Blickwechsel, der mir gerade in den Momenten hilft, in denen ich selbst im Krisenmodus bin. Wenn ich meine Augen aufhebe, wird mir bewusst, der treue Menschenhüter schläft noch schlummert nicht. Er ist bei meinem Friseur, bei meiner Nachbarin und bei mir. Ich freue mich, wenn im Mai wieder die Haare geschnitten werden dürfen. Ich wünsche mir mit unserem Kind, dass sie bald wieder in die Schule gehen kann. Und ich gebe natürlich die Karten für die Opernaufführung mit unserer Nachbarin nicht zurück.
Auf Facebook habe ich eine Karikatur entdeckt. Der Teufel und Gott unterhalten sich (auf englisch). Teufel: „Mit Covid-19 habe ich deine Kirchen geschlossen.“ Gott antwortet: "Im Gegenteil. Ich habe gerade eine in jedem Haus geöffnet."
Der Segensgruß am Ende des 121. Psalms begleite uns durch diese Krise, wie er Christen zu allen Zeiten getragen hat: „Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“ Amen!
Willi Wild
Autor:Willi Wild |
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