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Wie erreicht man die Menschen?

Thies Gundlach und Jörg Lauster | Foto: Helmut Frank
  • Thies Gundlach und Jörg Lauster
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Im Gespräch: Der EKD-Cheftheologe Thies Gundlach und der Theologieprofessor Jörg Lauster über das Reformationsjahr, Christusfeste und die Zukunft der Kirche.

Mal angenommen, das Reformationsjubiläum wäre morgen zu Ende: Hätte es sich auch dann gelohnt?
Gundlach:
Eindeutig. Denn die Reformationserinnerungen haben doch jetzt schon drei große Schübe gebracht: für die Ökumene, weil es eben nicht in Abgrenzung, sondern in ökumenischer Gemeinsamkeit begangen wurde; für einen neuen geistlichen Aufbruch, weil in ganz vielen Veranstaltungen die evangelischen Kernthemen wie die Rechtfertigungslehre wieder und neu ins Blickfeld gerückt wurden; und für die Gesellschaft, weil mit der lutherischen Freiheits-Theologie ein Thema gesetzt wurde, das gerade in Zeiten der Verunsicherung für die Öffentlichkeit relevant ist.
Lauster: Die Einschätzung hängt natürlich davon ab, mit welchen Erwartungen man in dieses Reformationsjubiläum gegangen ist. Das neu erwachte öffentliche Interesse ist für sich etwas Gutes, wie auch der Bildungserfolg – wer war Luther, was waren seine Ziele. Leise Zweifel habe ich allerdings, ob das Freiheits-Thema schon in der Öffentlichkeit angekommen ist.

Die ökumenische Ausrichtung als Christusfest hat aber auch für handfeste inner-evangelische Kritik gesorgt: Aus einem Schuldgefühl über die Kirchenspaltung und aus typisch protestantischer Zerknirschung werde das eigene Profil verleugnet.
Gundlach:
Diesen Eindruck habe ich ganz und gar nicht! Es ist doch gerade ein Zeichen von protestantischem Selbstbewusstsein, ein derartiges zentrales evangelisches Jubiläum bewusst in ökumenischem Geist als Christusfest zu begehen. Und die Unterschiede sind oft nur noch für Spezial-Theologen überhaupt wahrnehmbar. Auch wenn diese theologischen Unterschiede geklärt werden müssen, sind doch die beiden Bischöfe Marx und Bedford-Strohm, die jeweils eine Kirche repräsentieren, für viele meist nur noch in ihrer Kleidung zu unterscheiden, nicht aber in ihren gesellschaftspolitischen Positionen. Und angesichts der zunehmenden Zahl der Menschen, die mit dem Christentum nicht vertraut sind, ist es auch unbedingt nötig, dass die beiden Kirchen immer stärker mit einer Stimme in die Gesellschaft hineinsprechen.
Lauster: Ihre analytische Einschätzung würde ich ja weitgehend unterschreiben und sehe in der ökumenischen Annäherung eine Riesenchance für die Kirchen. Allerdings halte ich – mit Verlaub – den Titel Christusfest für unglücklich, weil nichtssagend. Denn im Christentum sollte doch jeder Gottesdienst ein Christusfest sein.

Herr Gundlach, Sie beklagten eine »grummelige Meckerstimmung« und »Ignoranz« von renommierten Theologieprofessoren an der Ausgestaltung des Reformationsjubiläums.
Gundlach:
Mein deutliches Unverständnis an der Haltung einiger Theologieprofessoren hat in der Tat eine Welle ganz unterschiedlicher Reaktionen ausgelöst – von Kritik bis Zustimmung. Jetzt ist der Pulverrauch verzogen, und wir sind auf eine Sachebene zurückgekehrt, was ich sehr begrüße.

Herr Lauster, in Ihrem neuen Buch regen Sie an, zum Reformationsjubiläum den Zusatz »lutherisch« bei den evangelischen Kirchen zu streichen…
Lauster:
Der ernsthafte Kern eines nicht ernsthaft gemeinten Vorschlags ist, dass unsere Kirche die einzige Kirche ist, die ich kenne, die den Namen eines Menschen als Bezeichnung führt. Die Konsequenz daraus ist ein Personenkult, der mich stört und der sich auch mit diesem Lutherkopf als Symbol in dem Reformationsjubiläum niederschlägt.
Gundlach: Das kann ich so nicht nachvollziehen. Denn der Kirchenleitung war es gerade wichtig, das gesamte Reformationsgeschehen in den Blick zu nehmen und Luther in einen größeren Kontext zu rücken. Natürlich haben wir immer die Herausforderung, zugleich Aufmerksamkeit erzielen zu wollen, ohne inhaltlich zu verflachen. Es war deshalb die dringende Empfehlung der Marketing-Leute, mit eingängigen und eindeutigen Symbolen wie dem stilisierten Lutherkopf die Aufmerksamkeits-Schwelle zu überwinden. Der Vorwurf, die Reformation reduziere sich auf Playmobilfiguren, ist polemisch und unfair.

Egal welches Zukunftskonzept, die Kirche erreicht kaum noch die jüngeren Generationen. Sind Marketing-Kampagnen die Lösung?
Gundlach:
Bei einem Großteil der 20 bis 30-Jährigen fehlt heute das Verständnis für einen offenen Himmel oder das Verhältnis zu Glaube und Gott. Diese Sprachlosigkeit ist sehr traurig. Kampagnen, die mit Kommunikations-Angeboten arbeiten, sind hier auch nur begrenzt wirksam, weil sie vor allem von den ohnehin schon Hochgebundenen wahrgenommen werden.
Lauster: Die Theologie kann da auch kein Patentrezept anbieten. Es wäre zwar verlockend, ganz auf den evangelikalen Verkündigungsstil zu setzen, das weltweit erfolgreichste Modell. Das funktioniert bei uns in Europa aber nicht. Ein sehr stabiles Medium sind immer noch die Kasualien (Anm.d.Red.: Amtshandlungen wie Taufe oder Beerdigung), bei denen man auf vielfältige Weise mit den Menschen in Kontakt kommt.

Fragen: Helmut Frank

Autor:

Adrienne Uebbing

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