Die Wiege der Konfirmation stand im »Rotkäppchenland«
Wie die hessische Kleinstadt Ziegenhain durch ihre »Kirchenzuchtordnung« in der Reformation weltweite Bedeutung erlangte
Touristisch gesehen verkauft sich der Schwalm-Eder-Kreis in Hessen gern als »Rotkäppchenland«. In der Tat weist die traditionelle Tracht der Schwälmer Mädchen mit ihrem roten Käppchen, die bei besonderen Anlässen hier immer noch gern und stolz getragen wird, frappierende Parallelen zur Protagonistin des Grimm-Märchens Rotkäppchen auf. Doch nun haben die Touristiker eine neue Attraktion für ihre Gegend entdeckt: die Reformation.
»Überall auf der Welt kennt man die Konfirmation, aber kaum jemand weiß, dass sie hier in Ziegenhain erfunden wurde«, beschreibt Sylvia Stock von der Tourismus-Organisation Grimmheimat Nordhessen das Dilemma. 1539 wurde die heute weltweit geübte Praxis hier beschlossen. Eine kleine Tafel an der 1667 erbauten Schlosskirche weist darauf hin.
Ziegenhain war zur Reformationszeit mit etwa 4 000 Bewohnern immerhin die viertgrößte Stadt der Landgrafschaft Hessen, weiß Stadtführer Eberhard Ahrend. Sie galt, da Landgraf Philipp die Stadt als Wasserfestung ausbaute, als uneinnehmbar. Hier brachte der Landgraf sein Archiv unter, hier war die Kriegskasse des Schmalkaldischen Bundes vor Diebstahl absolut sicher, berichtet Ahrend. Viele Gebäude aus der damaligen Zeit stehen heute noch.
Dass es zur Konfirmation kam, ist vor allem dem Landgrafen zu verdanken. Er wollte zwischen der Bewegung der Täufer und den führenden Reformatoren im Streit um die Taufe vermitteln. Während die Bewegung der Täufer der Auffassung war, dass der Taufe der Glaube vorausgehen müsse, also faktisch nur Erwachsene getauft werden könnten, hielten die Reformatoren an der Säuglingstaufe fest. Mit Gewalt wollte Philipp den Streit keinesfalls lösen und beorderte neben Vertretern der Täufer den elsässischen Reformator Martin Bucer (1491–1551) zu Hilfe, der auch in Täuferkreisen Anerkennung genoss.
Der fast unlösbar erscheinende Streit endete in einem bis heute gültigen Kompromiss: Die Kindertaufe wurde beibehalten, die Heranwachsenden aber sollten zu einem Katechismusunterricht geschickt werden, der in einer symbolischen Handlung vor der Gemeinde gipfelte. Dadurch könnten sie nachträglich ein »Ja« zu ihrer Taufe sagen, so der Gedanke. Damit entsprach Bucer einerseits dem Anliegen der Täufer, konnte aber zugleich an der Säuglingstaufe festhalten. »Es ist eine Sensation, dass in diesem kleinen Städtchen die Reformation entstand und nach wenigen Jahren im Protestantismus etabliert war«, sagt Konrad Nachtwey, Direktor des Museums der Schwalm. In dem Museum findet sich auch ein Modell der Festung, wie sie sich im 18. Jahrhundert präsentierte.
Leider ist das alte Schloss, Ort der Entstehung der sogenannten »Ziegenhainer Zuchtordnung«, in der der bedeutende Kompromiss festgehalten wurde, für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Direkt neben der Kirche und mit Stacheldraht gesichert befindet sich dort eine Justizvollzugsanstalt.
Dafür gibt es seit 2014 einen insgesamt 21 Kilometer langen »Katechismuspfad« rund um den Ort. Er wird dieses Jahr eine Aufwertung erfahren durch fünf Skulpturen zu den fünf Katechismusthemen Abendmahl, Vaterunser, Zehn Gebote, Taufe und Glaubensbekenntnis. Gefertigt werden sollen die Skulpturen aus Eichenholz im Mai in der Klosterkirche Spieskappel von bekannten Bildhauern. Eine sechste Skulptur wird in Spieskappel bleiben.
Im Kloster Spieskappel hatte Martin Luther auf dem Weg zum Marburger Religionsgespräch im Jahre 1529 übernachtet. Die Gemeinde will mit der Aktion im Reformationsjahr an ihren prominenten Gast erinnern. (epd)
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