Das Salz der Erde
Die Salzkathedrale im kolumbianischen Zipaquirá ist die größte unterirdische Salzkapelle der Welt. Der große Dom umfasst 8 500 Quadratmeter und kann rund 8 000 Gläubige aufnehmen.
Von Rainer Heubeck
Bergarbeiter haben einen gefährlichen Job. Deshalb ist es kein Wunder, dass sie – gerade in einem katholisch geprägten Land – vor dem Weg in den Schacht häufig um Beistand von oben bitten. Das war auch in der traditionsreichen Salzmine in Zipaquirá so, die sich im kolumbianischen Hochland befindet, etwa fünfzig Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogotá. Doch weil sie baufällig war, musste die kleine Wallfahrtskapelle, die sich die Arbeiter der Salzmine selbst gebaut hatten, vor rund 25 Jahren geschlossen werden. Unterstützt von einem Stararchitekten, packten die Minenarbeiter an und bauten sich unter Tage eine neue Gebetsstätte.
Mit Kathedralenführer Juan Carlos Cortes geht es hinab in das unterirdische Gotteshaus, nicht ohne vorher mit Helmen und Stirnlampen ausgerüstet worden zu sein. Durch eine Art Lichtertunnel, dessen Lampen ganz in Rot gehalten sind, gelangen wir an einen Kreuzweg, der die üblichen 14 Stationen umfasst und doch ganz anders gestaltet ist als seine oberirdischen Pendants. Er passt sich perfekt ein in eine unterirdische Landschaft, in der sich zum Teil zehn Meter hohe, zum Teil aber auch 25 Meter hohe Stollen befinden.
Die 14 Stationen sind durch einen Gang verbunden und finden sich seitlich davon in Nischen. Jede Station drückt die Passion durch eine ganz eigene Atmosphäre aus. Im Gegensatz zu konventionellen Kreuzwegen ist die Jesus-Figur hier nie direkt präsent, das Leiden Christi wird nur symbolisch dargestellt. Dort, wo Jesus unter der Last seines Kreuzes zu Fall gekommen ist, sind längere und größere Salzkreuze aufgestellt.
Einsamkeit und Meditation, aber auch fester Glaube, der die Todesangst überwindet, werden hier nicht durch Bilder und Skulpturen dargestellt, sondern vor allem durch Lichtstimmungen vermittelt.
Auf dem Weg entlang des Kreuzwegs berichtet Juan Carlos Cortes, der seit dem Jahr 2010 hier als Führer arbeitet, von der spirituellen Bedeutung der einzelnen Stationen sowie von Geschichte und Gegenwart des Salzabbaus. Er weiß viel zu religiösen Fragen, aber auch zu Architektur und Design – und natürlich zum Thema Salz. Den modernen Salzbergbau mit gut befestigten unterirdischen Stollen hat, so erfahren wir, Alexander von Humboldt ab 1801 in Kolumbien eingeführt; doch der Salzreichtum der Region war schon in vorkolumbianischen Zeiten bekannt.
Während die Spanier in Peru und andernorts in Lateinamerika vor allem nach Gold suchten, konzentrierten sie sich im heutigen Kolumbien auf die Gewinnung von Salz. Und das, obgleich die Legende vom sagenhaften »goldenen Mann«, dem »El Dorado«, nicht weit von Zipaquirá entfernt ihren Ursprung hat: Sie hat mit einem Häuptling zu tun, der auf einem mit Goldschätzen beladenen Floß unterwegs war, um seiner Frau und seines Sohnes zu gedenken, die beide in der Lagune ertrunken waren.
Doch nicht nur Gold war in der Vergangenheit ein Symbol für großen Reichtum, auch Salz war früher äußerst begehrt, das zeigen die Worte »Salär« oder »salary«. Ihr Ursprung liegt in der Ration Salz, die römische Soldaten und Ratspersonen erhielten. In der Salzmine von Zipaquirá freilich geht es nicht um Speise- oder Kochsalz, heute werden hier vor allem Industriesalze abgebaut.
An den Kreuzweg schließt sich das Allerheiligste an: drei Schiffe der unterirdischen Salzkathedrale, die zwischen 1992 und 1995 erbaut wurden. Sie sollen die Geburt, das Leben und den Tod Jesu verkörpern. Die zwei Seitenschiffe sind 75 Meter lang, das Hauptschiff sogar 120 Meter: 250 000 Tonnen Gestein und Salzkristall wurden aus dem Fels geschlagen und gesprengt, um den riesigen Hohlraum für diese Kathedrale zu schaffen, rund achtzig Tonnen Sprengstoff kamen dabei zum Einsatz.
In einem Seitenschiff steht ein Taufbrunnen, ganz aus Salz, und ein Salzrelief, das an die Sixtinische Kapelle erinnert – eine Darstellung von Michelangelos »Erschaffung des Adam«. Der Hauptraum wird dominiert von einem aus Salz geformten Erzengel Gabriel, und einem 16 Meter hohen Kreuz, das hinter einem Salzaltar nach oben zu ragen scheint. Doch das Kreuz besteht aus Luft und Licht.
Das Hauptschiff der Kathedrale, die bei Oster- und Weihnachtsgottesdiensten brechend voll ist, hat wenig gemein mit einem stillen Andachtsort, an dem die Bergwerks-Kumpel vor dem Schichtantritt um Schutz vor Unfällen bitten. Einen solchen Ort finden wir in einer Nische, in der eine Statue der Heiligen Jungfrau von Guasa aufgestellt ist: Sie steht auf einer Weltkugel und hält ein rotgekleidetes Kind im Arm. Die Jungfrau von Guasa gilt als die eigentliche Schutzpatronin der Minenarbeiter, gelegentlich gibt es auch Zeremonien für sie in der Salzkathedrale.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.