Estland: Gemeinde als geistliche Heimat
Bis hierher hat mich Gott gebracht durch seine große Güte«, klingt es aus dem Kellergeschoss des modernen Eckhauses. »Hierher«, das ist in diesem Fall das estnische Tallinn. Und in dem Eckhaus nahe des Hafens versammelt sich die deutschsprachige Evangelisch-Lutherische Erlösergemeinde, die dort seit dem vergangenen Jahr beheimatet ist.
Von Benjamin Lassiwe
Normalerweise treffen sie sich in der schwedischen St. Michaelskirche, doch als mitten in der Urlaubszeit die Teilnehmer einer sächsischen Das Zuhause der Evangelisch-
Lutherischen Deutschen Erlösergemeinde in Tallinn. Foto: privatJugendfreizeit und einer Delegationsreise der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Estland zu Gast sind, haben sie Pech: Die schwedische Kirche ist geschlossen, der Gottesdienst muss in den etwas beengten Gemeinderäumen stattfinden.
Und manches ist für Augen und Ohren der Besucher fremd: Zu Beginn der Liturgie findet ein ausführliches Schuldbekenntniss statt, mehrfach kniet der Pastor vor dem Altar, und auch Kyrie und Gloria erklingen zu ungewohnten Melodien.
Doch die deutsche Gemeinde in Tallinn ist eben keine klassische Auslandsgemeinde der EKD, erklärt Pastor Matthias Burghardt nach dem Gottesdienst. Die deutschen Protestanten treffen sich unter dem Dach der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (EELK) – und feiern eine einheimische Liturgie.
Zur Gemeinde gehören rund 120 Mitglieder, die über das ganze Land verteilt leben. Gottesdienste werden auch in Tartu und Harpsalu gefeiert. Und etwa 40 Prozent der Gemeindeglieder seien in Estland geboren worden, berichtet der Pfarrer. »Zu uns gehören Deutschbalten, Russlanddeutsche, deutsche Fachkräfte, Esten und Russen.« Alle fänden in der Gemeinde eine geistliche Heimat.
Lutherische Gottesdienste gab es in Reval bereits 1523, ein Jahr später wurde die Stadt offiziell lutherisch. Bis zum Zweiten Weltkrieg fanden regelmäßig deutsche Gottesdienste statt, mit der Zwangsumsiedlung der Baltendeutschen infolge des Hitler-Stalin-
Paktes fand diese Tradition ein Ende. 1991, nach dem Ende der sowjetischen Herrschaft, war die Gemeinde neu gegründet worden. »Für estnische Verhältnisse sind wir eine Dorfgemeinde, aber wir können sagen, dass alle deutschsprachigen Protestanten in Estland wenigstens von unserer Existenz wissen.« Burghardt freut sich besonders, zur
EELK zu gehören. »Das gibt mir mehr Freiheiten, als sie in einer Auslandsgemeinde der EKD möglich wären.«
Die EELK selbst schätzt Burghardt als kleine, konfessionelle lutherische Kirche. Im Unterschied zu den benachbarten Letten werde in Estland die Frauenordination praktiziert, rund 30 Prozent der Pfarrerschaft sei weiblich. »In der Kirche werden seit rund 50 Jahren Frauen ordiniert«, sagt Burghardt. »Es wäre eine schlimme Selbstampu-
tation am Leib Christi, würde man das, wie in Lettland, wieder rückgängig machen.« Auch Beziehungen zur konservativen Missouri-Synode gebe es in Estland nicht – im Gegensatz zu Lettland. Verzichtet wird allerdings auf die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. »Dafür hat unsere Kirche kein Mandat«, sagt Burghardt, »man muss mit dem Segen vorsichtig umgehen.«
Autor:Adrienne Uebbing |
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