Farbenfrohes Gotteshaus im Pazifik
Wer nach Hawaii reist, hat meist anderes vor, als Kirchen zu besichtigen. Doch wenn man sich auf Entdeckungstour begibt, stößt man auf zahlreiche gut gepflegte Gotteshäuser, in denen regelmäßig Gottesdienste gefeiert werden.
Von Werner Golder
Großartige Architektur und Innenausstattung darf man nicht erwarten. Die meisten Kirchen sind schlichte Holzgebäude mit bescheidenem Inventar, hierzulande würde man sie einfach Kapellen nennen. Eines der wenigen kunsthistorisch interessanten Gotteshäuser versteckt sich in Honaunau, einem südlichen Vorort des Touristenzentrums Kona auf Big Island Hawaii: St. Benedict’s Church, besser bekannt unter dem Namen »Painted Church« (gemalte Kirche).
Deren Geschichte begann vor rund 110 Jahren. Damals traf der belgische Priester John Berchmans Velghe mit dem Auftrag, die Kirchen im Distrikt Süd-Kona zu betreuen, auf Hawaii ein. Zu diesem Zeitpunkt befand sich unmittelbar am Meer, am Ende einer Bucht, eine dem heiligen Benedikt geweihte Kapelle. Aus Gründen, die nicht genau bekannt sind, entschloss sich Pater John, die Kirche etwa zwei Meilen landeinwärts an die westlichen Ausläufer des Mauna Loa zu verlegen. Möglicherweise hatten die starke Brandung oder eine Springflut das Gebäude bedroht. Vielleicht wollte Velghe seinen Wirkungsbereich aber auch nur einfach aus der Nähe des Ozeans und der feuchten Hitze in die Kühle der benachbarten bewaldeten Hänge verlegen.
Der Neubau des Kirchenschiffs gelang bei aller aus finanziellen Gründen gebotenen architektonischen Schlichtheit meisterhaft; der Glockenturm und die Fassade kamen allerdings erst später hinzu. Bald nachdem die Handwerker ihre Arbeit beendet hatten, ging Pater John daran, die Decke und die Wände des Gotteshauses zu bemalen. Die in einem Zeitraum von fünf Jahren fertiggestellten Fresken sollten St. Benedict’s Church weit über den Rang einer schmucken Pfarrkirche hinaus heben und zu einem kunsthistorisch bedeutsamen Platz der Verehrung Gottes machen.
Die Apsis wurde nach dem Vorbild der Kathedrale von Burgos bemalt, und zwar so raffiniert, dass die Mauern der Kirche sich in die Gemälde fortzusetzen scheinen. Für die Decke wählte der Hobbykünstler das Motiv des hawaiianischen Himmels, der von Vögeln bevölkert und von Sternen und Schäfchenwolken übersät ist.
Symbolhaft sind die Malereien auf den Pfeilern entlang des Mittelgangs: Die dort rankenden Palmen scheinen aus den Säulen nachgerade herauszuwachsen, um das Dach tragen zu können. Dem aufmerksamen Betrachter wird außerdem auffallen, dass die dem Altar nahen Bäume tiefgrün sind und prächtig gedeihen, während die weiter davon entfernten dürr und scheinbar dem Absterben nahe sind. Zwischen den Fenstern an den Seitenwänden des Kirchenschiffs sind eine Reihe von Bibelszenen dargestellt.
Wie Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle verbrachte Pater John Wochen und Monate in der kleinen Kirche und führte die Arbeiten oftmals in mühevoll gebückter oder auch in grotesk gestreckter Haltung und vielfach bei Kerzenlicht aus. Als er 1904 in seine belgische Heimat zurückgerufen wurde, hatte er gerade die Muster in den Nischen über den Fenstern fertiggestellt und letzte Hand an die Bogenfelder über den Bibelszenen angelegt.
Betrachtet man die verschiedenen Malstile in St. Benedict’s Church, so könnte man meinen, hier habe ein Komitee über dem Entwurf gebrütet und jedes der Mitglieder habe seine eigenen Vorstellungen und Stilwünsche durchzusetzen versucht.
Mehr als ein Kunstkritiker hat Bedenken gegen die Vermischung der Stile erhoben. Und man mag die Malereien als naiv schelten oder als zu mystisch abtun, man mag bemängeln, dass heiter-lebensfrohe Motive von nachdenklich stimmenden Szenen nicht scharf genug getrennt sind, man mag schließlich die Nase rümpfen über die Vermengung europäischer und pazifischer Elemente – allen Einwänden zum Trotz ist John Berchmans Velghes Arbeit im Schiff von St. Benedict’s Church als Ensemble gelungen.
In den Jahren nach seiner Abreise wurde die kleine katholische Kirche zum Ziel vieler Besucher – und zur Heimat einer gefräßigen Termiten-Kolonie. Die weißen Ameisen zogen die Kirche und ihre einzigartigen Malereien schwer in Mitleidenschaft, doch obgleich das Bauwerk 1979 in das Register der historischen Plätze Hawaiis aufgenommen wurde, dauerte es mehrere Jahre, bis ernsthafte Pläne für die Restaurierung gefasst wurden.
Bevor man sich der Malereien annehmen konnte, musste für das Gebäude erst einmal ein neues Fundament gegraben werden; die alte Kirche war nämlich einfach auf den gewachsenen Boden gesetzt worden. Doch es fehlte nicht nur am Sockel, sondern an allen Ecken und Enden. Für die bauliche Instandsetzung stützte man sich auf Zeichnungen und alte Fotos als Vorlage. Wie planvoll man vorgegangen war und wie gewissenhaft man gearbeitet hatte, erwies sich im November 1983, als ein Erdbeben die Gegend um Kona erschütterte. Der Bau – in Hunderten freiwilliger Arbeitsstunden entstanden – trotzte dem Naturereignis und konnte ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Am Ende der dreijährigen Wiederaufbauphase, in die rund 80 000 Dollar Spendengeld geflossen war, hatte St. Benedict’s Church den alten äußeren Glanz wieder zurück gewonnen.
Jetzt kam es noch darauf an, die einzigartigen Malereien zu retten. Außer den unübersehbaren Defekten an der Oberfläche stellten die Restauratoren auch zahllose unter den Farbschichten versteckte Termitengänge fest. Es galt also, den Verputz so weit wie möglich wiederherzustellen. Danach wurden die Gemälde sorgfältig gereinigt. Dabei vermied man es geflissentlich, die Malereien auszubessern oder zu polieren. – getreu dem Motto: Mehr konservieren als restaurieren.
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