Litauens schwierige Auseinandersetzung mit dem Holocaust
Es geht ums Geld sowie um das gerechte Gedenken – in Litauen findet seit langem eine heikle Auseinandersetzung mit dem Holocaust statt.
Von Jens Mattern
Zum einen soll Litauen Holocaust-Opfer wie deren Nachkommen ihr Privateigentum zurückgeben oder diese entschädigen. Der US-Gesandte für Holocaust-Angelegenheiten, Thomas K. Yazdgerdi, hat dies bei der Regierung in Vilnius bei seinem Besuch vor einigen Wochen angeregt.
In der Besatzungszeit durch NS-Deutschland wurden fast alle der etwa 215 000 litauischen Juden ermordet: von deutschen Einheit, aber teils mit Hilfe von Litauern. Nur wenige konnten sich verstecken oder flüchten. Das Thema wurde lange verdrängt, da zum einen die sowjetische Besatzung im kollektiven Gedächtnis als schlimmer angesehen wurde, und da zum anderen kaum jemand an die Mittäterschaft der Litauern erinnern wollte.
Laut Deividas Matulionis, dem außenpolitischen Berater des Premierministers Saulius Skvenerlis gibt es bei der Entschädigung einen juristischen Haken: Überlebende und deren Nachkommen könnten zwar entschädigt werden, die Bedingung sei jedoch die litauische Staatsbürgerschaft. In den 90ern setzte ein litauisches Gesetz den auswärtig lebenden litauischen Juden eine Frist bis 2001, die litauische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Viele Juden mit litauischen Wurzeln leben jedoch in Israel und Südafrika und versäumten die Frist oder erfuhren nicht davon.
Nach Faina Kukliansky, der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Litauen (LJC), müsse die aktuelle litauische Rechtslage geändert werden, so dass die Staatsbürgerschaft weiterhin verliehen werde. Dies sei etwa auch in Lettland und Estland üblich.
Doch die Zeitung »Lietuvos rytas« schreibt unter Berufung auf ungenannte litauische Politiker, dass das Land ökonomisch zu sehr belastet sei, um diese Entschädigungszahlungen zu tragen. Bereits im Jahre 2011 verabschiedete das litauische Parlament einen Good-Will-Fond, der ab 2013 über zehn Jahre hinweg insgsamt 53 Millionen US-Dollar an die Opfer und ihre Nachkommen zahlen soll.
Das Thema ist vor allem durch die Theaterautorin Ruta Vanagaite präsent, welche 2016 mit der Dokumentation »Unsere« erstmals die familiären Verstrickungen der Litauer im Holocaust ansprach.
Mit ihrer aktuellen Behauptung, Litauens Nationalheld Adolfas Ramanauskas hätte auch am Holocaust
partizipiert, ist sie aber wohl zu weit gegangen. Selbst die jüdische Gemeinde Litauens distanzierte sich davon. Der Pädagoge, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Partisanenkampf gegen die Sowjets leitete, wurde 1957 von diesen hingerichtet und gilt als Symbolfigur des litauischen Widerstands.
Die Autorin blieb für ihre Anschuldigung allerdings die entsprechenden Quellen schuldig.
Dennoch hat der Vorsitzende des Europäischen Jüdischen Kongresses, Wjatscheslaw Mosche Kantor, Litauen auf die Anschuldigungen Vanagaites hin scharf verurteilt. Kantor gilt unglücklicherweise als Vertrauter des in Litauen gefürchteten russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Eine Diskussion über das komplexe Thema Holocaust in Litauen, »basierend auf gegenseitigen Respekt«, wie es die jüdische Gemeinde in Litauen fordert, scheint darum derzeit schwierig zu sein. Das zeigt sich auch darin, dass der Verlag von Vanagaite nun ihre sämtlichen Bücher zurückgezogen hat und vernichten will.
Autor:Online-Redaktion |
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