»Viel vernünftiger als gedacht«
Aufatmen nach dem Wahlausgang in den Niederlanden: Der Sieger der Parlamentswahl heißt Mark Rutte und nicht Geert Wilders. Der Direktor der Evangelischen Allianz in den Niederlanden fasst es so zusammen: Seine Landsleute seien »sehr viel vernünftiger« als viele dachten.
Von Matthias Pankau
Mit Erleichterung haben Vertreter von Kirchen und christlichen Organisationen auf den Wahlausgang in den Niederlanden reagiert. Zugleich riefen sie alle politischen Akteure zur Besonnenheit auf. Bei den Wahlen am 15. März hatte sich die liberalkonservative »Volkspartei für Freiheit und Demokratie« (VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte mit 21,3 Prozent der Stimmen deutlich gegen den rechtsgerichteten Herausforderer Geert Wilders durchgesetzt, dessen »Partei für die Freiheit« (PVV) auf 13,1 Prozent kam.
Der Direktor der Evangelischen Allianz in den Niederlanden, Jan Wessels (Driebergen), sagte auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, der Ausgang der Wahl habe gezeigt, dass die Niederländer »sehr viel vernünftiger« sind, als das viele Evangelikale oder christliche Parteien im Land für möglich gehalten hätten. Eine zentrale Herausforderung der neuen Regierung sieht Wessels darin, einen gesunden Ausgleich zwischen den sozialen Schichten in der Bevölkerung zu schaffen. Vergrößere sich die Schere zwischen Arm und Reich, wäre das erneut Wasser auf die Mühlen extremer Kräfte von rechts wie links, sagte er.
Die Europäische Evangelische Allianz (Driebergen) erklärte, sie bleibe parteipolitisch neutral und unterstütze keine bestimmte Partei. Wichtig sei jetzt jedoch, dass eine gute Regierung gebildet werde, die der ihr von Gott gegebenen Aufgabe nachkomme, Frieden und Gerechtigkeit zu sichern sowie die Schwächsten zu schützen. Sie rief daher zum Gebet für die Politiker auf. Eine Absage erteilte die Allianz allen politischen Bemühungen, einen »guten Patriotismus in vergiftete Formen von Nationalismus zu verkehren«.
Die Verantwortliche der niederländischen katholischen Bischofskonferenz für die Beziehungen zur Politik, Danielle Woestenberg (Den Haag), begrüßte gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass die Bürger vor allem Parteien der Mitte gewählt hätten. Zudem sei die hohe Wahlbeteiligung erfreulich. Sie lag mit rund 82 Prozent um sieben Prozent über der der letzten Parlamentswahl 2012.
Im Wahlkampf spielte das Thema Religion eine große Rolle. Denn Wilders hatte in seinem Parteiprogramm ein Verbot des Korans und die Schließung von Moscheen gefordert. Im Fernsehen bezeichnete Wilders den Islamismus als möglicherweise noch gefährlicher als den Nationalsozialismus. Der Islam sei »die größte Bedrohung der Niederlande«: »Die Niederlande müssen endlich wieder uns gehören.«
Kirchenvertreter hatten ihm daraufhin vorgeworfen, das Christentum zu instrumentalisieren. Wilders stammt aus einer katholischen Familie. Er trat aus der Kirche aus und bezeichnet sich heute als Agnostiker. Ministerpräsident Rutte ist Mitglied der Protestantischen Kirche in den Niederlanden.
Von den 17 Millionen Einwohnern der Niederlande sind 23 Prozent Katholiken, 15 Prozent Protestanten und sechs Prozent Muslime. Gut die Hälfte der Bevölkerung gehört keiner Religionsgemeinschaft an. (idea)
Blick ins westliche Nachbarland
Von Kristian Mennen
Religion und Kirche sind nicht zuletzt in der Selbstwahrnehmung der Niederländer verhältnismäßig schwierige Themen. Die Niederlande wurden in der Vergangenheit und werden bis heute von unterschiedlichen, teilweise sehr widersprüchlichen Merkmalen geprägt: Eine einzigartige religiöse Vielfalt geht mit einem sehr hohen Grad der Entkirchlichung einher. Amsterdam ist im Ausland als die Stadt bekannt, die weder Gott noch seine Gebote kennt und wo alles Mögliche gestattet oder zumindest geduldet ist. Und so präsentiert sie sich auch nach außen. Trotzdem können auch hier immer wieder überraschende Elemente christlicher kultureller Prägung wiedergefunden werden. Der Mittelpunkt des Amsterdamer Rotlichtviertels wird zum Beispiel durch die protestantische Oude Kerk (Alte Kirche) gebildet, die nach wie vor als Kirche genutzt wird.
Der Umgang der Niederländer mit ihrem christlichen Kollektivgedächtnis sowie mit ihrem reichen religiösen Erbe ist manchmal genauso zwiespältig und paradox. Die »jüdisch-christliche kulturelle Identität« wird einerseits gern gegen den Islam ausgespielt. Andererseits besteht in manchen Kreisen eine bestimmte Verschämtheit, ein unbequemes Schweigen über die eigene religiöse Vergangenheit. Dafür kann der Umgang mit religiösen Feiertagen an öffentlichen Grundschulen in den Niederlanden als Beispiel dienen: In den letzten Jahren wurde die Behandlung des Ramadanfestes (Zuckerfestes) ins Currikulum vieler Grundschulen aufgenommen – dies zeuge von Respekt für die muslimischen Mitbürger und würde die multikulturelle Einstellung des Landes betonen. Auf der anderen Seite wird jede religiöse Konnotation von Weihnachten so weit wie möglich in den Hintergrund verdrängt, denn das würde die Identität der Schule als »öffentlich«, nicht-religiös gebunden, beeinträchtigen.
www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/kultur/vertiefung/religion/
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