Kunst und Kirche
Ohne Religion kein Erfolg

Offen für Kunst: Werke von Udo Lindenberg waren im Frühjahr zum Katholikentag in der Erfurter Severi-Kirche zu sehen. Kirche bietet Künstlern nicht nur Ausstellungsräume sondern als Auftraggeberin auch viele Freiheiten, weiß Olaf Zimmermann. | Foto:  epd-bild/Paul-Philipp Braun
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  • Offen für Kunst: Werke von Udo Lindenberg waren im Frühjahr zum Katholikentag in der Erfurter Severi-Kirche zu sehen. Kirche bietet Künstlern nicht nur Ausstellungsräume sondern als Auftraggeberin auch viele Freiheiten, weiß Olaf Zimmermann.
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Die Kirche spielt als Auftraggeberin eine wichtige Rolle für Künstler, befindet der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. Im Gespräch mit Stefan Meetschen erklärt er, warum die Relevanz von Religion heute nicht unterschätzt werden sollte.

Seit 27 Jahren sind Sie als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Beobachten Sie ein Verdunsten des religiösen Wissens bei Künstlern?
Olaf Zimmermann: Ich beobachte eine Zunahme an Wissen. Es gibt schließlich einen Drang nach Identität. Wer sind wir, welchen Weg bestreiten wir? Viele Künstler nehmen religiöse Praktiken stärker hinein in ihre eigene Arbeit. Das liegt wohl auch daran, dass Religion in diesen komplizierten Zeiten so etwas wie ein Tunnel sein kann, der einen durchführt. Ich rede nicht nur von der christlichen Religion, sondern vom ganzen religiösen Spektrum.
Dazu kommt: Ohne religiöse Kenntnisse im heutigen Kulturbetrieb erfolgreich zu sein, halte ich fast für unmöglich. Man muss die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Weltreligionen kennen, um etwa die Debatten rund um das Thema Antisemitismus verstehen und einordnen zu können.

Welche Rolle spielt die Kirche heute als Auftraggeber für Kunstwerke?
Die Kirche spielt weiterhin eine bedeutende Rolle als Auftraggeberin, zumal sie den Künstlern heute viele Freiheiten lässt. Ich würde sogar sagen, die Kirche sichert manchen Künstlern das dauerhafte Überleben. Der Traum ist doch heute nicht mehr, in irgendeinem Museum auszustellen. Das bekommt man schon hin, wenn man in einer gewissen Liga spielt. Der Traum ist, wie Neo Rauch oder Gerhard Richter es getan haben, ein Kirchenfenster zu machen. Denn das bleibt. Wo gibt es eine solche Sicherheit noch in der heutigen Gesellschaft?

Angesichts hoher Austrittszahlen denkt man auch in der Kirche darüber nach, Immobilien zu veräußern.
Das stimmt, doch ich denke, dass die Kirchen weiterhin eine große Relevanz haben, weil sie den Menschen bleibende Rituale, Lieder und Bilder anbieten, die den Menschen Orientierung geben können. Aufträge für Künstler zu vergeben und Kulturveranstaltungen zu bieten, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern zeugt von Lebendigkeit und Offenheit. Die Kirchen sollten viel mehr Aufträge an Künstler vergeben! Abgesehen von einigen religionskritischen Vertretern der freien Kunstszene werden Künstler dafür dankbar sein.

Welche der Religionen prägt derzeit das künstlerische Schaffen in Deutschland am stärksten?
Eindeutig das Judentum. Spätestens seit dem Überfall der Hamas auf Israel ist die Frage "wie hältst du es mit dem Judentum, und wie hältst du es mit Israel" zur Gretchenfrage des deutschen Kulturbetriebs geworden. Darf man die israelische Regierung wie jede andere Regierung kritisieren? Ab welchem Punkt wird berechtigte Kritik zu Antisemitismus?

Wo sehen Sie den Punkt?
Ich sehe ihn dort, wo Kritik an Israel mit Kritik am Juden gleichgesetzt wird. Wo diese Gleichsetzung gemacht wird, ist die Grenze zum Antisemitismus schnell überschritten.

Bei der Documenta im Jahr 2022 sorgten antisemitische Motive für Entsetzen. Wie lassen sich solche Grenzüberschreitungen verhindern?
Kunstfreiheit ist nicht grenzenlos. Der Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht über dem Artikel 5,3 "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei". Als Deutscher Kulturrat ist es unsere zentrale Aufgabe, für die Verteidigung dieser Werte zu kämpfen. Kunstfreiheit ist wichtig, aber es kann nicht sein, dass man in ihrem Schutze andere schützenswerte Güter beiseiteschiebt.

Die Aufarbeitung des Kolonialismus ist ein wichtiges Thema der Gegenwart. Sie haben bereits vor Jahren angeregt, die Kirchen aufgrund ihrer Missionserfahrungen in die Aufarbeitung mit einzubeziehen. Was tut sich da?
Auch die Kirchen besitzen noch Artefakte aus der Kolonialzeit, und zwar gar nicht so wenige. Im weltlichen Bereich sind wir mit der Erfassung schon weiter, wenn auch noch nicht so weit, wie wir sein müssten. Das muss weitergehen, weil das Thema längst noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben auch keinen angemessenen Überblick über die während des Faschismus gestohlenen Kunstwerke, gerade die von jüdischen Familien. Das ist ebenfalls ein Skandal, vielleicht sogar der größere.

Laut einer Umfrage genießen Museen in der Bevölkerung ein hohes Vertrauen. Kirchen und Religionsgemeinschaften liegen auf dem letzten Platz …
Museen haben es natürlich leichter, weil es in ihnen um Artefakte geht. Dabei entsteht automatisch Wahrhaftigkeit. Die Kirche schafft Vertrauen, indem sie verlässliche Inhalte bietet. So dass ich, wenn ich mal fünf Jahre ausgetreten war, wiederkomme und Dinge so wiederfinde, wie ich sie kenne. Deshalb war es so eine verrückte Idee, als neulich eine Pastorin vorschlug, die Sonntagsgottesdienste abzuschaffen.
Wissen die Kirchen vor lauter Bürokratie nicht, wie wichtig sie in einer Gesellschaft sind, in der fast nichts mehr sicher ist? Die Kirchen bieten sichere Orte, Orte des Gemeinwohls, der Identifikation. Selbst in entchristianisierten Gebieten kämpfen die Leute um ihre Dorfkirche! Die Zivilgesellschaft braucht solche Orte, wo Menschen sich treffen können. Vielleicht fehlt es den Kirchen noch an Demut, um ihre Rolle in diesem großen Ganzen zu erkennen und zu schätzen. (kna) "Ohne religiöse Kenntnisse im heutigen Kulturbetrieb erfolgreich zu sein, halte ich fast für unmöglich"

Offen für Kunst: Werke von Udo Lindenberg waren im Frühjahr zum Katholikentag in der Erfurter Severi-Kirche zu sehen. Kirche bietet Künstlern nicht nur Ausstellungsräume sondern als Auftraggeberin auch viele Freiheiten, weiß Olaf Zimmermann. | Foto:  epd-bild/Paul-Philipp Braun
Olaf Zimmermann | Foto: Foto: epd-bild/Rico Thumser
Autor:

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