Auf dem Weg zueinander
Die Hoffnung bleibt, dass evangelische und katholische Christen eines Tages gemeinsam am Tisch des Herrn sitzen
Ökumenische Gottesdienste sind für uns heute nichts Außergewöhnliches mehr. In vielen Gemeinden existieren etablierte ökumenische Gottesdienstformen zu besonderen Anlässen, wie gemeinsame Wort-Gottes-Feiern, etwa zur Gebetswoche für die Einheit der Christen am Pfingstmontag oder zu kirchlichen Festen. Auch ökumenische Feiern der Trauung oder doch zumindest die Feier der Trauung bei konfessionsverbindenden Ehen sind keine Seltenheit.
Auch regelmäßige ökumenische Feiern ohne einen besonderen Anlass sind weitverbreitet. So nimmt die Bedeutung einer gemeinsam gefeierten Stunden- oder Tagzeitenliturgie, etwa eines ökumenischen Morgen- oder Abendlobs, zu. Eine solche ökumenisch gefeierte Heiligung des Tages findet sich etwa im Rahmen einer sogenannten »City-Pastoral« in Großstädten, bei den Kirchen- und Katholikentagen sowie bei den Gebetstreffen von Jugendlichen in bewusster Anlehnung an die liturgische Tradition der ökumenischen Kommunität von Taizé.
Das liturgische Gedächtnis der einen Taufe
Doch trotz solch vielfältiger Möglichkeiten wird von vielen engagierten Gläubigen beklagt, dass ökumenische Gottesdienste immer »nur« Wortgottesdienste sein könnten. Eine solche Einschätzung bewertet ökumenische Wort-Gottes-Feiern als defizitär gegenüber einer gemeinsamen Feier von Eucharistie/Abendmahl. Hierin artikuliert sich der Wunsch, man wolle endlich auch in den Gemeinden vor Ort die Eucharistie/das Abendmahl gemeinsam feiern können und dürfen.
Dieses weitverbreitete Empfinden steht jedoch in einem gewissen Widerspruch zur tatsächlichen Relevanz von Wort-Gottes-Feiern für das liturgische Leben der Gemeinden vor Ort. Denn auch in der römisch-katholischen Kirche gibt es in Zeiten des Priestermangels immer mehr Gemeinden, wo diese liturgische Form oftmals die sonntägliche Eucharistiefeier ersetzt.
Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahren der Fokus auch liturgiepraktisch wie liturgietheologisch verschoben hat: Statt einer ständigen, schmerzlichen Fixierung auf die zurzeit noch nicht mögliche gemeinsame Feier von Eucharistie/Abendmahl hat sich in den vergangenen 15 Jahren gerade die Feier des gemeinsamen ökumenischen Gedächtnisses der einen Taufe als eine besonders gelungene Form des gemeinsamen ökumenischen liturgischen Feierns etabliert. In diesen ökumenischen Feiern wird die Einheit aller Getauften bereits feiernd begangen.
Die gottesdienstliche Praxis der anderen wertschätzen
Die ökumenische Bewegung hat sich von Anbeginn an auch der Frage des Gottesdienstes zugewandt. Unterstützt durch historische Studien, welche die Vielgestaltigkeit christlicher Gottesdienstformen schon in frühester kirchlicher Zeit belegten, stand dabei die Erreichung einer Konvergenz über die Grundgestalt und den Inhalt, den sogenannten Sinngehalt des christlichen Gottesdienstes, im Mittelpunkt.
Ebenso bedeutsam war das wachsende Bewusstsein einer gemeinsamen gottesdienstlichen Tradition, die es positiv wertzuschätzen und zu pflegen gilt. Auch die ökumenische Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher Ebene zwischen Liturgiewissenschaftlern verschiedener christlicher Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften hat hier zu neuen, fruchtbaren Erkenntnissen geführt. Es gibt eine gemeinsame gottesdienstliche Tradition, die allen Christen zu eigen ist. Christen aller Konfessionen sehen in der Heiligen Schrift die Gründungsurkunde ihres Glaubens. Die Verkündigung der Schrift hat ihren Ort im Gottesdienst. Die Verkündigung der Schrift ist dabei zum einen die Proklamation der Heilstaten Gottes, die im Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ihren unüberbietbaren Höhepunkt findet.
Christen machen sich aber auch Worte der Schrift zu eigen, um so mit den Worten der Psalmen und Gesänge Gott zu loben und zu preisen, ihn zu bitten und ihn anzuflehen, ihn anzubeten und zu verherrlichen. Die Schrift schließlich benennt normative Bezugspunkte für das gottesdienstliche Handeln der Kirche in jenen liturgischen Grundvollzügen, die wir die Feier der Sakramente nennen. Unabhängig von der konkreten Anzahl der Sakramente in den einzelnen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist eine Rückbesinnung auf das Zeugnis der Schrift für eine ökumenische Verständigung über die einzelnen Sakramente und für eine Annäherung im Verständnis der Liturgie von großer Bedeutung.
Dies lässt sich noch weiter entfalten: Christen sind getauft auf den Namen Jesu Christi, sie sind so wiedergeboren in Wasser und Heiligem Geist. Christen feiern ein Gedächtnis des letzten Abendmahles. Sie versammeln sich am ersten Tag der Woche, um der Auferstehung Jesu Christi zu gedenken. Sie entfalten die Heilsgeheimnisse Jesu in einer strukturierten Feier des liturgischen Jahres. Christen treten in der Feier der Liturgie ein in den Dialog mit Gott, sie hören die Proklamation der Heilstaten Gottes in der Heiligen Schrift, sie wenden sich an den Gott und Vater Jesu Christi in Lobpreis, Dank und Bitte.
Bei aller Unterschiedlichkeit gibt es Gemeinsamkeiten
Bei allen Unterschiedlichkeiten in den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gibt es somit auch eine gemeinsame gottesdienstliche Tradition. Diese wurzelt zum einen in einer realen gemeinsamen liturgischen Tradition aus einer Zeit der Einheit, die vor den jeweiligen Kirchenspaltungen schon bestand. Aber auch nach den erfolgten Schismen und Spaltungen und nach der Zeit der Konfessionalisierung waren die jeweiligen liturgischen Traditionen keinesfalls so hermetisch gegeneinander abgeschieden, wie dies vielleicht aus den kontroverstheologischen Polemiken heraus rückgeschlossen werden mag. Hier gab es vielmehr im Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder ein wechselseitiges Geben und Nehmen, wodurch die jeweils eigene Tradition mit angereichert wurde.
Besonders schön lässt sich dies etwa am Beispiel der Kirchenlieder aufzeigen: Paul Gerhardts »O Haupt voll Blut und Wunden« wird heute in römisch-katholischen Gemeinden wohl kaum als protestantisches Liedgut empfunden. Die Vielzahl an ökumenischen Liedern stellt eine gemeinsame gottesdienstliche Tradition dar, in der wirkliches Einheitspotenzial begründet liegt.
Positiv ist festzuhalten, dass auf dem Weg zur sichtbaren Einheit aller, die an Christus glauben, in den vergangenen Jahrzehnten nicht nichts geschehen ist – ganz im Gegenteil. Alleine schon die gegenseitige Anerkennung der Taufe, wie sie das »Direktorium zur Ausführung der Prinzipien über den Ökumenismus« fordert, ist mehr als ein bloßer Höflichkeitsakt, sondern, so Papst Johannes Paul II., eine »ekklesiologische Grundaussage«. Und die Hoffnung, eines Tages alle Sakramente gemeinsam feiern zu können, bewegt nach wie vor viele Christen und bleibt bestehen. Martin Stuflesser
Der Autor ist Liturgiewissenschaftler an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg.
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