Verheißungsvoller Rausschmiss
Der Schlusssegen: Seine wegweisende Bedeutung im Gottesdienst
Von Magdalene L. Frettlöh
Manchmal komme ich nur zum Gottesdienst, um am Ende mit dem Segen nach Hause gehen zu können …«, gestand mir eine Gottesdienstbesucherin beim Abschied an der Kirchentür. Man muss kein magisches (Miss-)Verständnis des Segens befürchten, wenn sich solche großen Erwartungen an die liturgischen Schlussworte des Gottesdienstes knüpfen. Denn gerade darin, dass wir gesegnet aus den schützenden Kirchenmauern hinausgeworfen werden, besteht die buchstäblich wegweisende Bedeutung des Segens. Als Gesegnete verlassen wir den Gottesdienstraum anders, als wir ihn betreten haben.
Segnen – ein Ritual auf der Schwelle
Wie jeder Segen, so ist auch und gerade der gottesdienstliche Schlusssegen ein Schwellenritual, eine rites de passage. Nie sind wir segensbedürftiger als in den Schwellensituationen unseres Lebens. Der Segen am Ende des Gottesdienstes markiert den Übergang aus der Gemeinschaft der Feiernden in den bald wieder anbrechenden Alltag des je eigenen Lebens, um dessen Gelingen wir besorgt sind, weil wir es nicht selbst in der Hand haben. Die im Gottesdienst (hoffentlich!) mit allen Sinnen leiblich erfahrene Gegenwart und Lebenskraft Gottes wird im Segen jedem und jeder so zugesprochen, dass sie auch im Alltag trägt und nährt. Darum ist das Segnen nicht nur ein Mund-, sondern auch ein Handwerk. Zum Segenswort gehört die Segensgeste, der sichtbare, buchstäblich mit Händen zu greifende Zuspruch des Segens der erhobenen oder berührenden Hände der Segnenden und die geöffneten, leeren Hände der Empfangenden. Segnen nimmt nicht nur unsere Ohren in Anspruch. Mit allen Fasern unseres Herzens und allen Poren unserer Haut darf Gottes Nähe erfahren werden.
Segnen – ein intensives Adieu-Sagen
Der gottesdienstliche Schlusssegen erinnert als Abschiedsgruß daran, dass einst jeder Gruß ein Segen war. Einander zum Segen zu werden, beginnt also dort, wo wir uns gegenseitig grüßen. Der Gruß ist die elementare Form des Segnens. Denn Segnen geschieht, wo wir die Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen und den übrigen Mitgeschöpfen durchbrechen, wo wir anderen Beachtung und Aufmerksamkeit schenken, sie nicht übersehen oder achtlos an ihnen vorübergehen: im zugewandten Blick, im erhobenen Gesicht, mit einer Geste oder einem Lächeln. Im Gruß drückt sich ein unverkennbares Interesse an der Geschichte, am Tun und Ergehen des anderen aus. Im Gruß würdigen wir einander, geben einander Gewicht und Bedeutung, behandeln uns nicht wie Luft. Und genau das ist die biblische Grundbedeutung des Segnens: jemandem Würde, Gewicht und Ehre geben. Fluchen dagegen heißt, jemanden leicht nehmen, links liegen lassen, seiner Würde berauben.
Mit dem Segen wird uns am Ende des Gottesdienstes Adieu gesagt: Adieu ist ein Zu-Gott-Hin, das den anderen oder die andere Gott anvertraut und überlässt. Segnend Adieu sagen zu können und gesagt zu bekommen, befreit von Allmachtsfantasien, entlastet von der Vorstellung, alles zu können, über alles zu verfügen und alles im Griff zu haben. Wer Adieu sagt und so die Aufbrechenden segnet, weiß um die eigenen Grenzen und setzt zugleich auf die immer noch größeren Möglichkeiten Gottes. Adieu – Gott befohlen!
Leben zur Genüge unter dem Angesicht Gottes
Viele verbinden mit dem gottesdienstlichen Schlusssegen die Worte des aaro-
nitischen Priestersegens vom leuchtenden Angesicht Gottes in 4. Mose 6,24–26. Es war Martin Luther, der in der Deutschen Messe von 1526 diese Segensworte Israels für den christlichen Gottesdienst wiederentdeckt hat, indem er die drei Zeilen dieses Segens trinitarisch gedeutet hat: »GOTT segne dich und behüte dich« – der Segen Gottes, des Vaters, der die Schöpfung nicht sich selbst überlässt und kein einziges Geschöpf preisgibt. »Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig« – der Segen des Gottessohnes, der das Licht der Gnade in das Todesschattenland unserer Welt bringt. »Gott erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden« – der Segen des Heiligen Geistes, des Trösters und Friedensstifters. Tersteegen hat Luthers Auslegung dieser dreifältigen Segensschnur zu dem Lied verdichtet: »Brunn alles Heils, dich ehren wir« (EG 140).
Unter Gottes leuchtendem Angesicht bleiben die miteinander verbunden, die nach dem Gottesdienst auseinandergehen. Dass dieser Segen in Frieden mündet, zeigt, dass Segnen mehr und anderes ist als schöne Worte machen. Segnen bedeutet, den empfangenen Segen mit anderen zu teilen, auf dass alle genug haben und vergnügt sein können. Denn Schalom, das Schlusswort des aaronitischen Segens, heißt Genüge. Der gottesdienstliche Schlusssegen begabt zum Gottesdienst im Alltag der Welt, die nach Gottes gerechter Lebensfülle hungert und dürstet. Gottes Segen kennt keine Obergrenzen.
Die Autorin ist Professorin für Systematische Theologie/Dogmatik und Religionsphilosophie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
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