Alle Tage Erntedank
Bei Kindern wird deutlich, dass das Bewusstsein für die Herkunft unserer Güter nicht auf einen Tag wie Erntedank beschränkt sein darf. Es muss im Alltag eine Rolle spielen.
Von Mirjam Petermann
Seit Juli kommt es regelmäßig zum Wettstreit zwischen unseren beiden Söhnen, wer als Erstes die meisten roten Tomaten von den Stauden pflückt. Beim Blick aus dem Fenster am Morgen werden fast täglich die immer größer und röter werdenden Äpfel vom Zweijährigen bestaunt. Die Jungen haben das Privileg, die Hühner zu kennen, deren Eier sie essen, weil sie bei ihrer Oma im Garten leben.
Dass viele Kinder nicht mehr wissen, wo Käse, Milch, Bananen oder Möhren herkommen, ist bekannt. Aber dass die Entstehung, Verarbeitung und der Konsum von Lebensmitteln in der Regel als alleinstehende und voneinander losgelöste Schritte betrachtet werden und somit zusammenhangslos sind, ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das aufgrund der Bequemlichkeit kaum als Problem gesehen wird.
Doch bei den Kindern wird der Grundstein für ein ökologisches Bewusstsein gelegt. Um das zu fördern, helfen praktische Anreize, wie der Besuch von Feldern und Plantagen, Bauernhöfen und Weiden. Aber nichts bringt das Wahrnehmen der eigenen Umwelt den Kindern näher, als selbst Bauer und Gärtner zu werden. Keinen Garten zu haben muss kein Grund sein, dass das nicht funktionieren kann.
Einzelne Tomatenpflanzen lassen sich in Kübeln auch gut neben dem Wäscheplatz im kleinen Hinterhof oder Balkon aufstellen. Erdbeerfelder bieten die Gelegenheit, ohne einen Finger krumm gemacht zu haben, köstliche Früchte zu ernten und noch besser – gleich zu vernaschen. Aber sie zeigen den Kindern trotzdem, wo die Früchte herkommen und dass sie gepflückt werden müssen und nicht schon abgepackt im Regal liegen. Gebietsweise warten ganze Alleen mit Pflaumen-, Apfel- oder Nussbäumen nur darauf geerntet zu werden. Nicht nur Bio-Bauernhöfe bieten ein ideales Ausflugsziel, um Tiere und ihre Lebens- und Haltungs-, aber auch Verarbeitungsbedingungen kennenzulernen.
Das Wissen um Lebensmittel und ihre Herkunft ermöglicht Kindern die Erkenntnis, dass sie Teil der eigenen Umwelt sind. Aber sie können dadurch auch andere Sachverhalte besser verstehen, einordnen und nachvollziehen. Wenn sie wissen, dass Pflanzen zum Wachsen Wasser brauchen, werden sie verstehen, warum Menschen in Afrika hungern müssen, wenn es monatelang nicht regnet. In einer Zeit, in der es so selbstverständlich ist, in einen großen Supermarkt zu gehen und alles zu bekommen, was man gerne hätte, ist es für Kinder wertvoll zu erleben, dass es harte Arbeit ist und vor allem Geduld braucht, bis etwas geerntet werden kann. So lernen sie, dass nicht immer alles zu jeder Zeit verfügbar sein kann.
Das Anbauen und Ernten mit Kindern lehrt sie, und auch uns, vor allem aber eins: Letztendlich liegt es doch nicht nur in unserer Hand, ob die Pflanzen und Bäume genügend Früchte tragen. Wir sollten ihnen in Demut erklären, wie einst Matthias Claudius formulierte: »Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.« Es ist eine wichtige Lektion, die wir am besten gemeinsam lernen können, nur das zu konsumieren, was wir auch haben, auch wenn das in Anbetracht der vollen Supermärkte schwer zu verstehen ist.
Den zwei Brüdern zeigen das in diesem Jahr die Obstbäume im Garten unseres Mietshauses besonders eindrücklich. Von drei Bäumen trägt nur einer einige Äpfel. Leider auch die wenig schmackhafte Sorte. Die heiß geliebten Birnen gibt es in diesem Jahr gar nicht. Und egal, ob bei den dann gekauften Birnen aus der Region oder den eigenen geernteten Tomaten oder der Papaya aus Brasilien: Eines sollten wir nicht vergessen, beim Ernten wie auch beim Verzehren: Gott zu danken. Gern auch mit Claudius’ Worten: »Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, und hofft auf ihn.« Das ist eine Haltung, die, wenn sie einmal eingeübt wurde, von Kindern eigentlich wie von selbst erhalten wird. Bei uns darf inzwischen nicht mal mehr ein Schokoriegel beim Picknicken nach einer Wanderung verzehrt werden, ohne dass der Einwand von einem der Jungen kommt: »Wir müssen noch beten.«
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