Wirklichkeit nicht ausblenden
Trauer: Das kaputte Lieblingsspielzeug, das tote Haustier – Eltern sollten die Trauer ihrer Kinder ernst nehmen. Das Aushalten kleinerer Verluste als Kind ist wichtig, um später für das Verarbeiten größerer Verluste und Trauerfälle gerüstet zu sein.
Von Barbara Driessen
Die vierjährige Hanna liebt ihr Kuscheltier über alles: Blacky begleitet sie überall hin. Sie kennen sich schon ewig lange, denn das schwarze Stoffpferd war ein Geschenk zu Hannas Geburt. Blacky hört ihr immer zu und lässt sie niemals im Stich. Dann entdeckt Hanna, dass sie ihn beim Einkaufen mit ihrer Mutter verloren hat.
Sie weint und brüllt und wird noch wütender, als ihr Vater vorschlägt, am nächsten Tag ein neues Kuschelpferd zu kaufen. Sie kann abends nicht einschlafen und in den Kindergarten will sie auch nicht. Hanna trauert.
»Kinder empfinden in dieser Lebensphase häufig all das als lebendig, was bewegbar ist«, sagt die Trauerexpertin Stephanie Witt-Loers. Das könne die Puppe oder das Rennauto sein, ein Stein oder die Wolken am Himmel. Und um diese für sie sehr wohl lebendigen Dinge trauern Kinder darum auch ganz anders als Erwachsene.
»Die tiefe Trauer um das kaputte Rennauto oder das verlorene Stoffpferd, das jetzt verhungern muss, ist so durchaus verständlich«, erklärt Witt-Loers. Sie leitet in Bergisch-Gladbach ein Institut für Trauerbegleitung und hat mehrere Ratgeber zu diesem Thema verfasst.
Das Beispiel zeige, wie wichtig es sei, eine achtsame Haltung dafür zu entwickeln, was Menschen für sich als tief greifenden Verlust erachten.
Witt-Loers hat oft die Erfahrung gemacht, dass das Thema Trauer von Kindern eine große Hilflosigkeit bei Erwachsenen auslöst, seien es Eltern, Erzieher oder Lehrer. »Erwachsene wissen oft nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Sie werden sprachlos, weil dabei auch eigene Ängste betroffen sind.«
Viele Eltern versuchten, ihren Kindern leidvolle Erfahrungen zu ersparen. Sie wollen sie ablenken oder ganz schnell das verlorene Kuscheltier oder das gestorbene Haustier ersetzen, damit die Tränen sofort versiegen. Die Expertin sagt dazu: Kinder sollen ruhig erst mal weinen und trauern und den Schmerz aushalten: »Belastende und schmerzhafte Erfahrungen gehören zu unserem Leben. Wir fördern Kinder in ihrer gesunden Entwicklung, wenn wir zulassen, dass sie Abschiede durchleben und ihre Trauer spüren
dürfen.«
Der Verlust eines geliebten Spielzeugs etwa kann einem Kind dabei helfen, eigene Bewältigungsstrategien zu entwickeln. »Dabei sollten Eltern ihren Kindern zugestehen, zu weinen und zu toben, und das auch selber aushalten.« Je früher Kinder die Möglichkeit haben, sich mit kleinen Verlusten auseinanderzusetzen, umso eher kommen sie später mit schweren Verlusten zurecht: »Wir packen unsere Kinder heute oft zu sehr in Watte.«
Wie Kinder dann im Ernstfall mit einem schweren Trauerfall umgingen, sei vor allem von ihrem Alter und dem damit verbundenen geistigen Entwicklungsstand abhängig, sagt die Psychologin Martina Howoritsch-Steinberg aus Voerde. »Gespräche über das Sterben müssen kindgerecht und auf die kognitive Reife des Kindes abgestimmt sein.«
Kleinkinder etwa wüssten nicht, was ›Tod‹ bedeutet, nähmen aber die Trauer und die Wut der Erwachsenen wahr. »Vorschulkinder kennen dann schon den Unterschied zwischen Leben und Tod, wissen aber nichts mit der Endgültigkeit anzufangen.« So fragten sie häufig erst nach Wochen: Wann kommt Papa wieder? »Das ist oft befremdlich für Erwachsene, die sich in einer anderen Phase des Trauerprozesses befinden«, sagt die Psychotherapeutin.
Kinder zwischen neun und zwölf Jahren versuchten oft, ihre Probleme allein zu lösen. Das könne aber in Trotz und Aufsässigkeit münden, wenn der Trauerfall nicht ausreichend verarbeitet werde.
Jugendliche betrachteten den Tod dagegen oft als etwas Abstraktes, das emotional weit entfernt ist. »Der Verlust trifft Teenager meist heftig und ruft viele ›Sinnfragen‹ hervor«, sagt Martina Howoritsch-Steinberg.
Sie rät Eltern dazu, die individuellen Bedürfnisse ihres Kindes möglichst genau wahrzunehmen. »Nehmen Sie sich Zeit für das Kind und versuchen Sie, einen sicheren emotionalen Boden zu bieten. Zusammen zu weinen oder die Trauer miteinander auszuhalten, reicht in manchen Momenten auch aus.« Das Kind sollte sich gut aufgehoben und verstanden fühlen.
Eltern müssten dabei nicht jedes Detail des Sterbeprozesses erläutern, viel wichtiger sei es, sich nicht zu verstellen. »Also: Seien Sie deutlich genug, ehrlich und authentisch zugleich.« Wichtig sei dabei vor allem eine gute Bindung zwischen Eltern und Kind, sagt Howoritsch-Steinberg: »Im Grunde genommen können Eltern, die einen guten emotionalen Kontakt zu ihrem Kind haben, nicht viel falsch machen: Sie kennen ihr Kind am besten.« (epd)
Witt-Loers, Stephanie: Wie Kinder Verlust erleben. … und wie wir hilfreich begleiten können. Vandenhoeck & Ruprecht, 158 S., ISBN 978-3-525-70188-1, 16 Euro.
Bezug über den Buchhandel oder den Bestellservice Ihrer Kirchenzeitung: Telefon (0 36 43) 24 61 61
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