Ökologie: Ernst Paul Dörfler beschreibt in seinem Buch »Nestwärme«, was wir von Vögeln lernen können
Twittern und Zwitschern – ein himmelweiter Unterschied
Von Christoph Kuhn
Seht die Vögel unterm Himmel: sie säen nicht, sie ernten nicht … und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.« Dieser Matthäus-Satz wäre ein Motto für das Buch. Vergleiche zwischen Vogel- und Menschenleben sind alt, und es gibt immer wieder neue Erkenntnisse.
Der Autor Ernst Paul Dörfler, geboren 1950, wuchs auf dem Lande auf, war Ökochemiker und schon Umweltaktivist in der DDR – beargwöhnt und abgehört von der Stasi. Seinem Buch »Zurück zur Natur?« (1986) folgten weitere, hauptsächlich zur Vogelkunde. Er gehört zu den Gründern der Grünen Partei in der DDR und ist nach wie vor Referent und Publizist zu ökologischen Themen.
»Wir teilen eine gemeinsame, 400 Millionen Jahre währende Entwicklungsgeschichte« mit den Vögeln und sind auf vielfache Weise auf sie angewiesen. Noch vor 100 Jahren war die Verbindung existenziell; heute muss sie neu gestaltet werden. Unglaubliches ist zu lesen über physische Leistungen, Lernfähigkeit und Gefühle der Vögel. Viele sind uns beim Fliegen überlegen: schneller, höher und CO2-neutral; auch sehen und hören sie besser, und viele haben einen Magnetsinn zur Orientierung; manche können vor Erd- und Seebeben warnen – mit einer der Technik überlegenen Sensorik. Sie verfügen über ein enormes Gedächtnis und vielfältige Kommunikationsmethoden und »sind Persönlichkeiten mit eigenem Charakter.«
Viele leisten andern uneigennützige Hilfe, sorgen sich um gegenseitiges Wohl. Prosoziales Verhalten ist keine menschliche Besonderheit. Vögel spielen miteinander und mit Spielzeug, haben Freude und Spaß. Sie sind (meistens) sanftmütig, weshalb auch die Taube ein Friedenssymbol ist. Die Kapitel beginnen mit dem Mensch-Vogel-Vergleich: Wahl und Zahl der Lebenspartner; Neigung zu Tanz und Gesang; Ernährung: Vögel werden nicht zu dick (nur wenn Menschen sie zum Verzehr mästen!), ihr Krankenstand ist dank natürlicher Lebensweise sehr niedrig; Sie wechseln nur ein- oder zweimal im Jahr ihr Gefieder bei der Mauser – Menschen in Deutschland legen sich im Durchschnitt jährlich 60 neue Kleidungsstücke zu.
Dörfler schreibt humorvoll und detailreich, z. B. über Brut- und Stresshormone. Übrigens beeinflussen dieselben Hormone das Verhalten von Vögeln und Menschen. Nur der Mensch zerstört seine Lebensbasis. Durch Monokulturen und Insektizide ist die Insekten-Biomasse in den letzten drei Jahrzehnten um 80 Prozent geschrumpft. Deshalb nimmt auch die Vogelzahl ab: 42 Prozent der heimischen Brutvögel stehen auf der Roten Liste; 118 von 248 Vogelarten verschwinden; 13 Vogelarten sind ausgestorben, weil Wälder gerodet, Moore entwässert, Ackerflächen vergiftet, Grünland überweidet, Meere überfischt, Flüsse verschmutzt und verbaut sind. Der Rückgang der Vogelpopulation – Artenverlust überhaupt – ist auch »eine Verarmung der menschlichen Seele«. Wer dieses Buch liest, wird reicher, aufmerksamer für die Vogelwelt und vielleicht die Natur überhaupt.
Dörfler, Ernst Paul: Nestwärme – Was wir von Vögeln lernen können, Hanser, 288 S., ISBN 3 446 26185 0, 20 Euro
Autor:Online-Redaktion |
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