Blickwechsel
Ein Jahr nach dem Putsch: Kämpfen, um zu leben
Sie flüchten in den Dschungel, verbergen sich in Höhlen oder versuchen, sich nach Indien und Thailand zu retten: Hunderttausende Menschen in Myanmar wurden in den vergangenen zwölf Monaten vertrieben, nachdem sich das Militär in dem südostasiatischen Land an die Macht geputscht hatte.
Von Nicola Glass
Vielen von ihnen fehlt es an ausreichend Nahrung, Trinkwasser und medizinischer Versorgung, weil das Militärregime humanitäre Hilfe blockiert. Myanmar ist nicht erst seit dem jüngsten Putsch ein geschundenes Land. Doch nachdem die Armee die «Nationale Liga für Demokratie» (NLD) unter Aung San Suu Kyi am 1. Februar 2021 gestürzt hat, versinkt der Vielvölkerstaat im Chaos.
Auch zum Jahrestag des Putsches am Dienstag vergangener Woche hatten Oppositionelle zu Protesten gegen das Militärregime aufgerufen. Landesweit schlossen sich Menschen einem «stillen Streik» an, wie das Nachrichtenportal «Myanmar Now» berichtete. Fotos in den sozialen Netzwerken zeigten leere Straßen und geschlossene Geschäfte. Zudem gab es landesweit kleinere Kundgebungen und Protestmärsche. Die Militärjunta hatte allen Menschen, die sich an den Streiks beteiligten, lebenslange Haft angedroht. Laut Medienberichten wurden mehr als 100 Menschen verhaftet. Derweil kritisierten UN-Vertreter das brutale Vorgehen des Militärs seit der Machtergreifung vor einem Jahr.
Laut der Gefangenen-Hilfsorganisation AAPP wurden bislang insgesamt mehr als 1500 Menschen bei Protesten getötet, darunter Kinder, friedliche Demonstranten, Menschenrechtler und medizinisches Personal. Mehr als 11 800 Personen wurden verhaftet, davon sitzen etwa 9000 Menschen weiter hinter Gittern. Auch nach den Protestaktionen vergangene Woche wurden laut einem Bericht der Nachrichtenseite «Khit Thit Media» mehr als 100 Menschen in der früheren Hauptstadt Yangon verhaftet.
Die Armee hatte den Umsturz vor einem Jahr mit Wahlbetrug begründet, ohne Beweise vorzulegen. Aung San Suu Kyis Partei «Nationale Liga für Demokratie» (NLD) hatte die Abstimmung vom November 2020 klar gewonnen, die Partei der Militärs war unterlegen. Die gestürzte De-Facto-Regierungschefin Suu Kyi war nach dem Putsch zusammen mit dem ebenfalls entmachteten Präsidenten Win Myint verhaftet worden.
Die ethnischen Minderheiten im Land müssen teils schon seit Jahrzehnten Gewalt erdulden, weil die Militärs auch in der Vergangenheit immer wieder Abkommen zu Waffenruhen brachen. Mit ihrem Terror überzieht die Junta nun aber das ganze Land. Seit dem Putsch registrierten die UN etwa 406 000 intern Vertriebene – zusätzlich zu jenen 370 000 Binnenvertriebenen, die bereits davor aufgrund von Konflikten innerhalb Myanmars flüchten mussten. Unter den Flüchtlingen des vergangenen Jahres waren laut der Hilfsorganisation «Save the Children» mehr als 150 000 Mädchen und Jungen.
Während viele Menschen weiter friedlich und in kleineren Gruppen gegen das Regime aufbegehren, wollten andere Oppositionelle nicht zusehen, wie das Regime Zivilisten massakriert. Vor allem junge Leute entschieden sich für den bewaffneten Kampf und ließen sich zum Beispiel von Rebellen der Karen im Osten oder den Kachin im Norden ausbilden. Längst haben sich landesweit immer mehr lokale Widerstandsgruppen formiert. Manche von ihnen kämpfen gemeinsam mit alteingesessenen Rebellenorganisationen der ethnischen Minderheiten, andere auf sich selbst gestellt.
Für die Junta machen die Guerilla-Taktiken dieser «Volksverteidigungskräfte» eine weitere Front auf. Die Bandbreite des Widerstands reicht laut der «International Crisis Group» von «spontan organisierten ländlichen Milizen, die Soldaten überfallen, bis hin zu städtischen Untergrundnetzwerken, die Repräsentanten und Büros der Junta attackieren». Die auf Konflikte spezialisierte Denkfabrik sieht Myanmar vor einer wohl langwierigen Phase zunehmender Konflikte. Dabei gewinne die oppositionelle Bewegung trotz einiger Probleme allmählich an Stärke.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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