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Biennale-Pavillon des Vatikans
Kunst im Frauengefängnis

Foto: epd-bild / Almut Siefert

Der Pavillon des Heiligen Stuhls auf der diesjährigen Biennale befindet sich in einem Frauengefängnis. Durch die Ausstellung führen Insassinnen - und teilen ihren ganz persönlichen Blick auf die Werke.
Die werden dadurch erst zu wahrer Kunst.

Venedig (epd) - Manche Ausstellung gewinnt erst durch einen Führer, der sie den Besuchern näherzubringen versteht. Im Pavillon des Heiligen Stuhls auf der Biennale in Venedig jedenfalls ist das so.
Der Vatikan präsentiert Kunst im Frauengefängnis in Guidecca. Fernab von Touristen, fernab vom Trubel der Lagunenstadt und den vielen weiteren Ausstellungen, die derzeit Kunstbegeisterte aus der ganzen Welt nach Venedig locken. Am Sonntag will auch Papst Franziskus den Pavillon besuchen.

Die Idee der Kuratoren Chiara Parisi und Bruno Racine: Die ausgestellten Werke sollen in einen Dialog mit den Insassinnen treten. Dabei wird schnell klar, dass die Frauen vor Ort im Mittelpunkt stehen. Dabei spricht Giulia, die an diesem Nachmittag die Gruppe von rund 20 Besuchern durch das Gefängnis führt, mit leiser  Stimme. Alle haben zuvor nach der Ausweiskontrolle Taschen und was sie sonst am Körper tragen in Schließfächer gelegt. Der Scan mit dem Metalldetektor stellt sicher, dass wirklich niemand etwas mit hineinnimmt. Neben Giulia, die ihre dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden hat, klimpert eine Wärterin mit dem Schlüsselbund.

«With my eyes» (Mit meinen Augen) lautet der Titel der Ausstellung. Giulia ist kaum zu hören, alle treten näher heran, als sie im ersten Raum der Ausstellung zu erzählen beginnt. An der Wand des kargen Vorraums zur Kapelle hängen Gemälde in leisen Farben, sie zeigen Kinder, mal allein, mal im Spiel mit anderen, mal als Porträt. Die französische Künstlerin Claire Tabouret hatte die Insassinnen gebeten, ihnen Fotos von ihren Kindern oder Kindern von Freunden und Verwandten zur Verfügung zu stellen.

Kunstwerke stellten ihrer Meinung nach oft bekannte Persönlichkeiten in den Mittelpunkt, sagt Giulia. «Das hier sind Menschen, die uns wichtig sind. Diese Bilder sind ein Teil unseres Lebens, unserer Unschuld, die wir noch hatten, bevor wir hierhergekommen sind.» Als sie auf das Bild zeigt, zu dem sie selbst der Künstlerin die Vorlage zur Verfügung gestellt hat, ziehen sich ihre schmalen Lippen zu einem leichten Lächeln hoch. Dann fordert die Wärterin die Gruppe in bestimmtem Ton zum Weitergehen auf.

In der angrenzenden Kapelle, in der Schlangen aus Stoffen von der Decke hängen - eine Arbeit der brasilianischen Künstlerin Sonia Gomes - ist das Lächeln aus Giulias Gesicht verschwunden. Nach einer kurzen Erklärung blättert sie in ihren Unterlagen und zieht ein eng beschriebenes DIN-A4-Blatt hervor. Sie wolle nun etwas vorlesen, etwas, was sie selbst geschrieben habe. «Durch die Biennale werden wir zum ersten Mal zu Protagonisten», liest Giulia. «Weggeschlossen ist nicht nur unser Körper, unser Geist ist es auch. Hiervon sind wir Teil, hier sind wir integriert.»

Sie erzählt von einem Dasein ohne Privatheit, dafür aber mit ständigem Lärm. «Unser Feind hier ist nicht die Stille», trägt Giulia vor, «doch im Dunkeln lassen uns dennoch selbst unsere Schatten allein.» Die Wärterin mit den Schlüsseln drängt wieder zum Weiterziehen.

In der Cafeteria der Haftanstalt hängen Bilder der US-Künstlerin Corita Kent. Jenes in neongrün und orangefarben gehaltene, mit einem großen Auge darin, habe es ihr besonders angetan, sagt Giulia fast tonlos, während die Gäste ihre Aufmerksamkeit den Werken zuwenden und sie schon nicht mehr hören. Die Augen seien das Wichtigste, sagt sie: «So viele schaffen es nicht, dir in die Augen zu schauen, wenn sie mit dir sprechen, weil sie wissen, dass man darüber in einen Menschen schauen kann.»

Bei dem Gespräch mit den Insassinnen, die einen durch die Ausstellung führen, wird klar: Das eigentliche Kunstwerk sind diese Frauen, es ist der Blick, mit dem an diesem Tag Giulia auf die Werke schaut, es ist die fast monotone Stimme, mit der sie ihre so persönlichen Worte teilt. «Jetzt verabschieden wir uns», ruft die Wärterin nach einer guten Dreiviertelstunde. Die Besucher können nicht einmal überlegen, ob und was sie Giulia zum Abschied sagen wollen, da ist sie schon hinter einer der Stahltüren verschwunden.

Autor:

Online-Redaktion

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